Archiv der Kategorie: Unterwegs

MuCEM Marseille

Das im Jahre 2013 eröffnete MuCEM (Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers) fällt BesucherInnen des Alten Hafengeländes in Marseille sofort auf: ein scheinbar ins Meer hinausragender, mit dunkler Netzhaut versehener Kubus, entworfen vom französischen Architekten Rudy Ricciotti. Die Ummantelung, Hülle oder der Überwurf wirken je nach Position des Betrachtenden unterschiedlich: filigran wie ein Spitzenkleid, einem Fischernetz gleich oder wie die kräuselnde Oberfläche der Meerhaut. Das Licht – an dem es der zweitgrössten französischen Stadt nicht mangelt – das durch das dunkle Überkleid des MuCEM ins Innere fällt, zaubert zart-tänzelnde Lichtspiele und bringt Leichtigkeit in die Strenge seiner Form. Die gebäudetragenden Säulen aus Beton haben organische Formen, gleichen Bäumen, Ästen oder Blumen.
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Besondere Wirkung haben die beiden anthrazitfarbenen Brücken aus Beton, welche einerseits das alte Fort mit dem MuCEM verbinden und andererseits das Museumsgelände mit dem Quartier du Panier. Diese Brücken sind Zugang und bilden einen Steg zwischen den Zeiten und der Stadtgeschichte. Für die früher vom italienischen Architekten Stefano Boeri gebaute Villa Méditerranée mag das nahe MuCEM eher schwierig sein. Die beiden Solitäre stehen zu nah, „Verliererin“ scheint die Villa zu sein.
Das gesamte ehemals alte Hafengebiet mit der Kathedrale La Major als Dritte im Bunde lässt die Besucherin oder den Besucher für Momente sprachlos werden: raffiniert, kühn und mutig erscheint die Erweiterung, welche anlässlich der Rolle der Stadt als Kulturhauptstadt realisiert wurde. Das beeindruckende Bild bleibt auch bei naher Betrachtung (was keine Aussage machen will zur Art, wie die Ausstellung kuratiert ist oder wie geschickt die Lichtführung in den Räumen ist…) genau so wie aus der Distanz, beispielsweise vom stadtwahrzeichentragenden Hügel herab!
Sehr fraglich hingegen, ob die hafenerneuernden, städtebaulichen Massnahmen das Befinden der Stadt bzw. seiner EinwohnerInnen (weit ab von Paris und damit entsprechend „abgehängt“ zu sein ) und die Eindrücke von Aussen (eine Stadt mit hoher Kriminalität etc.) verändern. Den Durchreisenden offenbarte sich ein paar Schritte abseits der Architekturpreziosen die eher unschöne Seite der Stadt und der Eindruck, dass Marseille und all die Menschen, die hier aus den verschiedensten Gründen stranden, oft schwierige Situationen auszuhalten haben.
In loser Folge werden hier einige weitere Bauten aus Marseille vorgestellt.

Floraler Alpsegen

Im Schweizer Süden, in einem Seitental des Maggiatales, zuhinterst und schon fast himmelnah – so jedenfalls, dass da noch Schnee zu berühren gewesen wäre – was ich angesichts des schon drohenden Regens tunlichst gelassen habe – dort also blühen zur Zeit Alpenblumen in einer von mir noch nie  gesehenen Fülle und Schönheit. Da a) vermutlich kaum jemand den weiten Weg in diese Abgeschiedenheit unter die Füsse bzw. die Räder nehmen wird und b) um diese Oase zu schützen, verzichte ich für einmal auf genauere Angaben. Hier ein paar Bilder, sehr viele mehr wären noch möglich gewesen, hätten nicht Regen und Verpflichtung gemahnt. Bilder werden durch Anklicken grösser, Qualität unterschiedlich, Namen werden soweit möglich nachgeführt.

Chapelle Notre-Dame du Haut, Ronchamp

Bei mittelschönem Wetter und u.a. nach Gerhard Richters Ausstellung in der Fondation Beyeler ein Sonntagmorgenbesuch in Ronchamp. Le Corbusier entwarf die Kapelle, nachdem die vorher dort stehende Wallfahrtskirche wie viele andere auch im 2. Weltkrieg zerstört worden war. Ausführliche, bebilderte Informationen findet die Leserin oder der Leser hier. (Bilder werden Anklicken grösser)


In den wenigen Minuten, in denen sich die dunklen Wolken beiseite schoben, war erahnbar, wie umwerfend das Umgebungspanorama ist: gemäss Berichten mit ein Grund, weshalb der Architekt diesen Auftrag angenommen habe. Wahr oder nicht wahr, in jedem Falle ein mit Bedeutungen, Symbolen und Bezügen reicher Bau. Nicht nur dem eher düsteren Wetter geschuldet ist der Eindruck, dass der Kapelle ein wenig Pflege (v.a. im Aussenbereich) nicht schaden könnte. Die Zeit zeichnet sich auf der Aussenhaut ab, Risse und unschöne braune Striemen mögen als prozesshaftes Geschehen gesehen werden, ästhetisch sind sie nicht. Sie mindern jedoch den Eindruck einer mutigen und ungewöhnlichen architektonischen Leistung keinesfalls.
Fast verborgen bleibt eine weitere Architekturleistung, nämlich das in den Hügel unterhalb der Kapelle eingelassene Klarissenkloster, erbaut vom italienischen Architekten Renzo Piano. Seine Arbeit ist leider (mindestens im Ronchamp-Shop) wenig dokumentiert, ein paar Informationen und Bilder finden sich hier. (Bilder werden durch Anklicken grösser)

Kirche San Giovanni Battista in Mogno

Bilder transportieren einen ersten Eindruck – die vom Architekten Mario Botta entworfene Kirche Giovanni San Battisto ist in ihren Dimensionen (damit sind nicht Grössenwerte gemeint) wohl nur vor Ort zu erfahren, bzw.zu erleben. Sie steht in Mogno im Lavizzaratal, einem Seitental des Valle Maggia. Der Rundbau ist getreu einer der Maximen Botta’s grösstenteils aus ortsvorhandenen Materialien gebaut. Heller Marmor aus Peccia und dunkler Tessinergneis wechseln im Mauerwerk lagenweise und erzeugen mit meisterlicher Verarbeitung vor allem im Innenraum aussergewöhnliche Spannung auf der optischen Ebene.

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Was in diesem Raum möglicherweise tiefer und länger berührt oder bewegt, mag jede Besucherin und jeder Besucher für sich beantworten. Je nach Prägung des Betrachtenden sind es Anklänge an unendliche Tiefe, ein Hingezogensein zu Dimensionen jenseits alltäglicher Erfahrungen, das Aufbrechen namenloser, fast schmerzhafter Sehnsucht oder spirituelles Angesprochensein, das nicht an ein einziges, religiöses Denksystem gebunden ist.

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Genau wie bei den Bildern, die einen Bruchteil „transportieren“, sind hier alle Beschreibungen Fragmente und können eigenes Sehen, Erleben und Betroffensein nicht ersetzen. Wenn es gelingt, eine so hohe Verdichtung von Idee, Durchsetzung, Einbettung in die Umgebung und Geschehnisse, Ausführungssorgfalt, Materialität, Umgang mit dem Licht und existenziellen Fragen zu schaffen, dann bleibt stummes Ergriffensein, Demut und die Anerkennung eines aussergewöhnlichen Werkes.

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Ausführlichere Infos finden sich beispielsweise hier oder auf der Seite des Architekten Mario Botta. Mehr über den Menschen Botta ist in diesem Text bzw. in diesem Buch zu lesen.
Die Bilder werden durch Anklicken grösser.

Neuland – eine Filmbegegnung

Eineinhalb Kinostunden in denen ich beeindruckt, gebannt und bewegt den Bildern der Regisseurin Anna Thommen folge: in ihrem vielfach ausgezeichneten Dokfilm „Neuland“ zeigt sie eine Basler Integrationsklasse, in der ein engagierter, boden-ständiger und warmherziger Lehrer mit enorm grossem Einsatz versucht, seinen SchülerInnen (junge Menschen zwischen 17 und etwa 20 Jahren) die deutsche Sprache und unsere „Gebräuche“ nahe zu bringen. Die jungen Menschen stammen beispielsweise aus Afghanistan, Eritrea oder der Türkei. Sie tragen persönliche Schicksale und die Auswirkungen politischer Ereignisse mit; müssen sich neben der neuen, nicht einfach zu erlernenden Sprache, der Mühsal des sich bewerben müssens und ihrem je individuellen „Weh“ auch mit schwierigen Wohnsituationen, Nebenarbeiten und dem völligen Fehlen eines präsenten familiären Netzes auseinander setzen.
Der Lehrer scheint auch nach zwei Jahrzehnten Arbeit in diesem Umfeld zuversichtlich und optimistisch geblieben zu sein. Er ist seinen SchülerInnen gegenüber offen, will gewisse Regeln eingehalten haben und setzt sich vermutlich weit über das übliche Mass dafür ein, dass seine „Schützlinge“ im Arbeitsleben Fuss fassen können. Mich haben neben den Bildern, den Schicksalen und dem Engagement des Lehrers die Hürden beeindruckt, welche sich den jungen Menschen mit mangelhaften Sprachkenntnissen entgegen stellen. Hier geborene Jugendliche sehen sich einer Berufswelt gegenüber, die viel fordert und Menschen mit noch zu entwickelnden Kompetenzen rasch aussondert – um wieviel schwieriger wird es da für Menschen, die bereits bei einem Telefonat zwecks einer Schnupperwoche ihren Namen dreimal nennen müssen und (noch) nicht perfekt imstande sind, auszudrücken, was sie möchten. Gerade diese Bilder schmerzen – weil frau mitgeht mit den Hoffnungen, den Wünschen und miterlebt, wie solche platzen – was auch Schweizer Jugendlichen geschieht – doch hier mutet es an wie ein Schlag in die Magengrube. Der Film ist eine wunderbare, nahe, fast zärtliche Hommage an Menschen, Gesichter und Geschichten. Absolut empfehlenswert!