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La Grande Ombrière Marseille und anderes…

Nein, da ist beim Einfügen des Bildes nichts falsch gelaufen! Auf dem Quai des Belges in Marseille steht dieser „Sonnenschirm“: ein 46 x 22 m grosses Dach aus poliertem Stahl auf acht schlanken Säulen. Die von Norman Foster entworfene Decke spiegelt das Geschehen auf dem Granitpflaster unter ihm, zeigt Menschen, ihre Bewegungen, Aktion. La Grand Ombrière bietet öffentlicher Kunst einen Raum und spendet schwitzenden Stadtläufern Schattenmomente.
Die Bauten, die hier ausgewählt und in den letzten Tagen vorgestellt wurden, sind lediglich ein kleiner Ausschnitt einer gewaltigen Stadterneuerung und Erweiterung. Die ganze Uferzone entlang des engeren Stadtgebietes ist bzw. wird erneuert. Bis im Jahre 2020 soll diese Aktion abgeschlossen sein und Marseille eine neue „maritime Fassade“ erhalten. Die Visite hinterlässt ambivalente Eindrücke – auf der einen Seite eine Häufung spannender Werke in Flanierdistanz und ganz nah die ungeliebte Seite der Stadt: Schmutz, heruntergekommene Viertel und vielschichtige soziale Reibungsflächen. Irgendwie wünscht frau sich einen Zauberstab, um den imaginären, schier unüberwindbaren Wassergraben, der zwischen den Architekturhighlights und den vielen in die Jahre und in die Krise gekommenen Quartieren und Menschen liegt, zu beseitigen. Auf dass die Erneuerung eine wirkliche wäre: eine, welche Wege und Möglichkeiten öffnet in eine befreiendes, gerechteres und zukunftsweisendes Zusammenleben. Hier wären neben Top-Architekten noch ganz andere Fachleute gefragt…
Zum Schluss der Marseille-Serie ein paar weitere Stadtbilder, bitte zum Vergrössern Bilder anklicken!


Tour CMA-CGM Marseille

Im Traum gestaltete sich die Sache folgendermassen: Die Reisenden würden vom Alten Hafen herkommend mit dem modernen Tram ins Quartier La Joliette fahren, möglichst nahe zum unübersehbaren, hoch aufragenden Turm, den die Architektin Zaha Hadid entworfen hat. Dort angekommen, würden sie auf direktestem Wege zum Eingang marschieren, allenfalls ein paar Euro Eintritt zahlen, um dann mit dem Lift ins oberste Stockwerk zu fahren. Denn dort wäre gewiss ein sehr modernes Restaurant mit einer phänomenalen Aussicht über die Stadt Marseille. Kühle Getränke und wer weiss vielleicht sogar ein Buffet mit Mezze würden diese Visite auf eine gute Art abrunden…
Es war so: Das moderne Tram fuhr. Zwei Haltestellen, dann blieb es stehen und die Reisenden (noch) sitzen. Bis der Tramführer kam und beschied, dass heute hier Endstation sei. Dies obwohl Schienenführung und Fahrplan anderes sagten. Also gehen, immerhin mit einem klaren Ziel und der Chance, auf diesem mühsamen Marsch in der Mittagshitze  interessanten Bummel unterwegs das eine oder andere zu entdecken. Ausser Autos schien niemand unterwegs zu sein, nicht einmal ein Strassenhändler mit einem kühlen Wässerchen, das knurrende Geräusch aus der Magengegend wurde vom Stadtlärm, dem Wind und Schiffshörnern überdeckt und die Reisenden schluckten tapfer und mit der Aussicht auf Höheres ihren Speichel.
Unvermittelt steht der „Turm“ da, mann/frau vergisst Hunger und Durst, schweigt, staunt, schaut, legt den Kopf in den Nacken, versucht sich irgendwo einzuklinken in dieses Werk, seine Proportionen, die Bauweise. Die Nackenhärchen mögen sich in den Meerwind stellen ob soviel Mut, Entschlossenheit und der Fähigkeit, einen solchen Bau zu realisieren. Doch irgendwann klopft der Traum wieder an, die Reisenden suchen einen Eingang und erst hier und jetzt fällt ihnen auf, dass sie noch immer die einzigen Menschen sind. Die Scheiben sind dunkel getönt, drinnen scheint sich etwas zu bewegen, Hoffnung keimt auf. Wie von Geisterhand gesteuert, öffnet sich die Türe, ein Sicherheitsbeamter tritt ans Mittagslicht, blinzelt und will auf französisch wissen, ob wir etwas suchen würden (die anständige Form von „was habt ihr hier zu suchen?!). Die Reisenden suchen alle verfügbaren französischen Worte, erklären dem jungen – in eine Uniform gesteckten – Mann, dass sie gerne hinauf fahren würden, ins oberste Geschoss bitte. Geht nicht, das hier ist alles privat, kein Zugang! Erst mal schlucken, so jäh enden Träume und dann die Enttäuschung ausdrücken. Der kleine, stammelnde Vortrag der Reisenden scheint einen minimalen Eindruck gemacht zu haben, das Gesicht des jungen Mannes wird weicher, er kann sogar lächeln. Vielleicht sind die Reisenden ganz einfach DIE Abwechslung in seinem langweiligen Wachsonntag, jedenfalls erzählt er dann, dass der Turm dem weltweit drittgrössten Schiffstransport- und Logistikunternehmer gehört, einem Libanesen, der von hier aus zusammen mit seinen Kindern das Unternehmen leitet. Er zeigt im Hafen liegende Schiffe und Container mit dem CMA-CGM-Emblem, welches auch vor dem Turm platziert ist. Auf die Frage, ob er den Chef (und Auftraggeber für diesen Büroturm) schon mal gesehen habe, antwortet er, ja, fast täglich. Der Turm sei aus Sicherheitsgründen nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, es sei schon schwierig genug, die wochentags ein- und ausgehenden 2300 MitarbeiterInnen zu kontrollieren… Dass er Sarde sei und dass ihm dieser moderne Baustil nicht gefalle, vertraut er den BesucherInnen noch an, dann zieht er sich wieder zurück. Etwas später fährt ein Motorrad vor, ein Pizzakurier läutet, der Wachmann erscheint wieder, nimmt ihm die Lieferung ab und verschwindet wieder im dunklen Turmesinnern.
Die Reisenden weilen noch, sehen die Tramstation, die vermutlich nur an Arbeitstagen bedient ist und staunen ob einer Kühnheit, welche in ihrer Gänze erst aus der Distanz wirklich erfasst werden kann. Zum Vergrössern Bilder anklicken!


FRAC Marseille

Quasi im Vorbeigehen (frau geht ja viel in einer Stadt und dies vorzugsweise absatzfrei…) begegnet den Durchreisenden diesesr als Ausstellungsgebäude genutzte Bau des Japaners Kengo Kuma. Im FRAC (Fonds Regional d’Art Contemporain Provence-Alpes-Cote d’Azur) wird zeitgenössisches Kunstschaffen ausgestellt, leider waren genau an diesem Tag die Türen turnusgemäss verschlossen. So blieben plattgedrückte Nasen und ein starres Nackengefühl, um den hinter den alten Docks von Marseille mitten im Quartier La Joliette aufragenden Bau wenigstens von aussen zu beäugen. Die aus Recycling-Glas hergestellten Platten, welche rund um die Fassade des FRAC hängen, sind Blickfang, erinnern an in den Wind gehängte Kleidungsstücken. Das um die Mittagszeit gleissend helle Licht verleiht der obersten Glasreihe eine Lichtkrone und beleuchtet das unmittelbar in eine Zeile älterer Bürokomplexe eingefügte Gebäude. Das Wort „schön“ im Umgang mit Kunst, Architektur oder Aussehen steht auf meiner persönlichen geht-gar-nicht-Liste, was kaum verhindert, dass es ab und zu zwischen den Lippen hervor will. Die verspielte Seite der Betrachterin freut sich u.a. an der farbigen Lichtinstallation, leider konnte (noch) nicht eruiert werden, wer sie geschaffen hat.

Randbemerkung:
An dieser Stelle geht es weder um Kritik noch um eine Einordnung: dazu gehört weit mehr Hintergrundwissen und Zeit, als uns zur Verfügung steht. Was die Gedanken sein können: Eindrücke im Vorbeigehen, Beobachtungen Aussenstehender, kurze Betrachtungen vielleicht. Den Durchreisenden bieten sie immer wieder Anlass, Fragen rund um soziale, gesellschaftliche, ökologische, zukunftsweisende und menschenwürdige Aspekte des Planen und Bauens im weitesten Sinne zu wälzen. Was nicht wenig ist, meine ich!

MuCEM Marseille

Das im Jahre 2013 eröffnete MuCEM (Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers) fällt BesucherInnen des Alten Hafengeländes in Marseille sofort auf: ein scheinbar ins Meer hinausragender, mit dunkler Netzhaut versehener Kubus, entworfen vom französischen Architekten Rudy Ricciotti. Die Ummantelung, Hülle oder der Überwurf wirken je nach Position des Betrachtenden unterschiedlich: filigran wie ein Spitzenkleid, einem Fischernetz gleich oder wie die kräuselnde Oberfläche der Meerhaut. Das Licht – an dem es der zweitgrössten französischen Stadt nicht mangelt – das durch das dunkle Überkleid des MuCEM ins Innere fällt, zaubert zart-tänzelnde Lichtspiele und bringt Leichtigkeit in die Strenge seiner Form. Die gebäudetragenden Säulen aus Beton haben organische Formen, gleichen Bäumen, Ästen oder Blumen.
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Besondere Wirkung haben die beiden anthrazitfarbenen Brücken aus Beton, welche einerseits das alte Fort mit dem MuCEM verbinden und andererseits das Museumsgelände mit dem Quartier du Panier. Diese Brücken sind Zugang und bilden einen Steg zwischen den Zeiten und der Stadtgeschichte. Für die früher vom italienischen Architekten Stefano Boeri gebaute Villa Méditerranée mag das nahe MuCEM eher schwierig sein. Die beiden Solitäre stehen zu nah, „Verliererin“ scheint die Villa zu sein.
Das gesamte ehemals alte Hafengebiet mit der Kathedrale La Major als Dritte im Bunde lässt die Besucherin oder den Besucher für Momente sprachlos werden: raffiniert, kühn und mutig erscheint die Erweiterung, welche anlässlich der Rolle der Stadt als Kulturhauptstadt realisiert wurde. Das beeindruckende Bild bleibt auch bei naher Betrachtung (was keine Aussage machen will zur Art, wie die Ausstellung kuratiert ist oder wie geschickt die Lichtführung in den Räumen ist…) genau so wie aus der Distanz, beispielsweise vom stadtwahrzeichentragenden Hügel herab!
Sehr fraglich hingegen, ob die hafenerneuernden, städtebaulichen Massnahmen das Befinden der Stadt bzw. seiner EinwohnerInnen (weit ab von Paris und damit entsprechend „abgehängt“ zu sein ) und die Eindrücke von Aussen (eine Stadt mit hoher Kriminalität etc.) verändern. Den Durchreisenden offenbarte sich ein paar Schritte abseits der Architekturpreziosen die eher unschöne Seite der Stadt und der Eindruck, dass Marseille und all die Menschen, die hier aus den verschiedensten Gründen stranden, oft schwierige Situationen auszuhalten haben.
In loser Folge werden hier einige weitere Bauten aus Marseille vorgestellt.