Archiv der Kategorie: Kommentar

Irrgang

Einer meiner Lieblingsorte ist die Bibliothek Hauptpost im Osten des Landes. Neben anderen natürlich. Seit meinem letzten Besuch frage ich mich, wohin uns diese bizarre Zeit noch katapultieren will. Natürlich ist es nicht die Zeit, es sind Menschen, die Vorgaben umzusetzen haben. Nein, es folgt kein Statement zu Sinn oder Nichtsinn.

Fakt: Vor dem Eingang zur Bibliothek steht ein Mann, seine Uniform weist ihn als Angehörigen irgend eines Sicherheitsdienstes aus. Ich zeige das geforderte Zertifikat samt Personalausweis. Zu diesem Zeitpunkt trage ich eine Maske. Harsch weist mich der Eingangswächter an, meine Maske hinunter zu ziehen, offensichtlich will er das ID-Bild und mein Gesicht vergleichen (es liegen Jaaahre dazwischen, das sei mal gesagt…). Ich bin konsterniert und frage ihn, ob er da nicht etwas übertreibe. Das wolle der Chef, sagt er und ich: “ dann muss ich mal mit ihrem Chef sprechen“!. Dann stolpere ich in die Bibliothek, die wirkliche Stöberlust ist mir definitiv abhanden gekommen. Der Vorfall lässt mich nicht los, ich überlege, welchen Chef er wohl gemeint haben könnte. Den Bibliothekschef? Das wäre bitter. Oder vielleicht Herrn B. aus Bern? Oder einen kommunikativen Vertreter des BAG?

Mal Klartext: es ist grundsätzlich mehr als absurd, dass diese 3 G-Regelung für eine Bibliothek in dieser Grössenordnung angewendet werden muss. Es bewegen sich wenige Menschen gleichzeitig zwischen den Bücherregalen und man „juckt“ ja schon zur Seite, wenn ein Mensch naht. Ja, ich weiss, Bern will es so. Nur wieso dürfen vier Leute in einem Zugsabteil von St. Gallen nach Bern sitzen, essen, husten, atmen? Vier Leute notabene, die sich nicht kennen? Die kein 3-G-Zertifikat haben?

Ich komme vom Thema ab.

3-G-Test am Eingang zu einem Ort, wo Bildung und Kultur und Wissen zu haben sind. Ok., muss scheinbar sein. Aber: als Höhepunkt eine Gesichtsprüfung durch eine uniformierte Person. Ich fasse es noch heute kaum. Wo sind wir? Da läuft etwas mächtig falsch!

Dampf ablassen wollte die telefonierende Schreiberin. Nicht in der Dampfzentrale. Dort nämlich lässt sich entspannt sitzen, den Aaareschwimmern nachschauen und froh sein, dass frau selbiges auf gar keinen Fall und nie und nimmer nachahmen muss. Der Dampf  – entstanden durch eine Rechnung der Telefonfirma mit einer vermutlich mies bezahlten Werbeagentur (anders kann man sich diese unansehlichen Plakate nicht erklären!) – sollte in einer der Filialen entweichen in die zu kommen man einem rät. Für Menschen wie die Schreiberin eine wenn immer möglich zu vermeidende Angelegenheit: etwa auf gleicher Stufe wie eine Hotline anrufen oder die Steuererklärung ausfüllen. Ungern. Sehr ungern. Hormone mahnen zur Flucht. Dampf. Die Generation der schreibenden Köchin kennt den Duromatic. Weiss, dass die erscheinenden roten Ringe scharf zu beobachten sind. Wehe die Dampfentwicklung ist zu heftig! Wird unkontrollierbar. Zum Beispiel mit einer Ladung Randen. Stellen Sie sich die geweisselte Küche vor, nachdem der Dampf einen Topf voll tiefroter Randenknollen so richtig „verjagt“ hat!
Bei der telefonierenden Schreiberin war höchstens ein roter Ring sichtbar. Wenn auch unsichtbar. Beherrscht (heisst das bei Frauen vielleicht befrauscht??), will sagen ruhig und freundlich betrat sie besagten Ort des Grauens. Wohlwissend, dass der Mensch, der da hinter einer modernen Theke stehend mit den Unsitten des höheren Kaders nichts zu tun hat. Sanft entwich der angestaute Dampf – sagen Sie nicht, Sie würden nicht dampfen, wenn die vorher vierzehntägige Zahlungsfrist (die sei branchenüblich und der Schreiberin war, als sei da ein eigenartiger Unterton) nun auf acht Tage festgelegt wird. Acht Tage! Was soll das? Ist das überhaupt legal? Der Mann hinter der Theke flüchtete. Nicht ins Nebenzimmer. In die Untiefen seines Computers. Sie hätten umgestellt. Auf vierzehntägige Zahlfrist. Sie: hier geht es nicht um vierzehn Tage sondern um ACHT! Er: Nach Erhalt einer Mahnung haben Sie immer noch zehn Tage Zeit, um zu bezahlen! Sie: Hallo, ich frage, weshalb hier steht, dass diese Rechnung innert ACHT Tagen zu bezahlen ist. Er: Kann ich mir nun nicht erklären (hallo – bitte MIR erklären!!!). Sie: Ich werde den Vertrag kündigen! Er: Wissen Sie, wann Ihr Abo abläuft? Sie: Ja! Natürlich weiss ich das! Er: Wenn Sie zu einer anderen Firma gehen, kann die alles für Sie erledigen. Sie: Danke. Adieu.
Vor vielen vielen Jahren arbeitete die Schreiberin mit einem Lochstreifenautomaten. Da waren Textbausteine üblich. Vorgefertigter Text, der an der gewünschten Stelle eingesetzt wurde. Daran dachte die Schreiberin und an Hüllen, leere Hüllen.

Appenzell Ausserrhoden und das Alter: (M)ein Leserinnenbrief

Ausgangspunkt meines Leserinnenbriefes in der Appenzeller Zeitung vom 8.10.14 waren zwei Beiträge in eben dieser Zeitung. Am 1.10.14 vermisste der Geschäftsleiter der Pro Senectute AR ein Altersleitbild AR und am Tag darauf erschien die (leicht erstaunte) Reaktion des Amtsleiters für Soziale Einrichtungen.

Ein Altersleitbild für AR –
weit mehr als Pflegeheimplanung!
Ein Altersleitbild für den Kanton AR müsste weit mehr sein als eine Pflegeheimplanung – zumal Zweifel erlaubt sind, ob heute gut Sechzigjährige sich dereinst in solche oft starre Einrichtungen begeben wollen. Neben den „fitten Jungpensionierten“ welche inner- und ausserfamiliär freiwillige Arbeit leisten und/oder diverse Angebote nutzen, gibt es ältere Menschen, für deren Bedürfnisse im Kanton Appenzell Ausserrhoden keine adäquaten Angebote bestehen. So fehlen Tagesstätten, in denen ältere, daheim lebende Menschen einen Tag oder mehrere verbringen können, damit die pflegenden Angehörigen Entlastung erhalten. Ältere Menschen, welche nach einem Spitalaufenthalt oder bei einer chronischen Erkrankung eine Geriatrische Tagesklinik besuchen möchten, um mittels diverser Therapien den Verbleib zuhause möglich zu machen, finden im Kanton AR kein Angebot und sind angehalten, in einen Nachbarkanton zu reisen und einen grossen Teil der Kosten selber zu tragen.

Die Gruppe der Menschen mit Demenzerkrankungen nimmt zu. V.a. für jüngere Menschen mit einer Demenzdiagnose fehlen nicht nur in unserem Kanton niederschwellige, auch „institutionsferne“  Angebote, welche ihnen möglichst lange die soziale, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und sie und ihre Angehörigen begleiten und beraten. Hier stellt sich zudem die Frage, wie Ausserrhoden die Nationale Demenzstrategie 2014-2017 des Bundes umzusetzen gedenkt.

Wie weit sich die Kapazitäten der gesunden Jungpensionierten mit Bedürfnissen von erkrankten älteren Menschen in eine hilfreiche Verbindung bringen lassen, könnte ein so genanntes Leitbild aufzeigen. Älter werden und konfrontiert sein mit vielfältigen Verlusterfahrungen zeichnet oft ein Leidbild. Es ist möglich geworden, sehr alt zu werden – haben wir Antworten auf diese auch geistig-seelischen Anforderungen? Wie bitter muss es sich anfühlen, alt geworden zu sein und nun das Gefühl haben zu müssen, „zu teuer“ oder „unrentabel“ zu sein oder gar keine Daseinsberechtigung mehr zu haben. Die gesamtgesellschaftliche Arbeit, die für den Umgang mit dieser neuen Altersrealität notwendig ist, sprengt vermutlich den Leitbildrahmen. Trotzdem soll sie angesprochen werden, auch weil über dieses Dasein hinausreichende „Troststützen“ für viele Menschen die Bedeutung verloren haben – oft nicht folgenlos.

Ein letzter Gedanke: die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich gerade im Altersbereich immer mehr. Die Finanzierbarkeit der Angebote, die gerechte Verteilung der vorhandenen Mittel auch zwischen den Generationen und die Frage, wie viel Geld für die Bedürfnisse älterer Menschen bereit gestellt werden soll oder kann, wird uns beschäftigen. Die Vermutung liegt nahe, dass hier kreative Lösungen vonnöten sind und dass „das Denken ab und zu die Richtung wechseln muss“.

Der Wolf oder das Böse kommt von Aussen

Es ist zum Augen reiben: der Wolf (merke: ein italienischer! – als ob für Tiere Landeszugehörigkeiten eine Relevanz hätten) ist im Appenzeller Vorderland eingetroffen. Und nicht anders als im Wallis, im Berner Oberland oder sonstwo, wird reflexartig sein Abschuss verlangt. Lassen wir mal die grundsätzliche Frage, ob es Menschen überhaupt zusteht, aus irgend einem Grund Tiere umzubringen. Rund um den Wolf scheinen vernünftige Überlegungen, kritisches Hinschauen und tatsächliche Relevanz des Schadens für Viele ein Tabu zu sein. Gänzlich unerwähnt wird zum Beispiel, dass in der Schweiz im freien Weidegang gegen 10’000 Schafe jährlich durch Verletzungen, Fehlgeburten, Absturz, Blitz- und Steinschlag, Stacheldraht, wildernde Hunde etc. ihr Leben verlieren. Doch worüber berichten die Medien? Der böse Wolf… nichts zu lesen darüber, dass sich Wildtiere (Gämsen, Steinböcke) vermutlich bei Schafen mit Krankheiten anstecken, dass Tiere oft nicht behirtet werden, der Bund im Jahre 2013 1,5 MioF ranken für Herdenschutzmassnahmen ausgegeben hat (2014 werden es 2 Mio. sein und 2015 voraussichtlich drei Millionen, Quelle: Bundesamt für Umwelt) und dass in den meisten Nachbarländern ein fortschrittlicherer Umgang bezüglich Herden- UND Grossraubtierschutz besteht. Dieser beinhaltet staatliche Vergütungen bei Rissen, vorausgesetzt, dass geschützte Herden betroffen sind. Herdenschutz erfolgt durch Zäune, Hirten und Hunde. Öffentlichkeitsarbeit und Forschung gehören ebenso dazu, Abschüsse erfolgen nur in ganz wenigen Ausnahmefällen. Es ist zu hoffen, dass die involvierten Amtsleute Ruhe bewahren und ihre in der Wolfsdebatte bereits bewanderten BerufskollegInnen in- und ausserhalb des Landes zu Rate ziehen.

 

Nicht nur ein Quartier verarmt…

Der Tag der endgültigen Schliessung rückt näher – ein Geschäft mehr, dem unter anderem die „Geiz-ist … – Mentalität den Schnauf genommen hat. Die Bedeutung dieses Ortes für die Schreiberin habe ich an anderer Stelle (siehe Seite 26) ausgeführt, der Verlust ist hart, weil er ein Quartier trifft, das Entwicklungen mittragen bzw. aushalten muss, die ebenso zeitgeistig sind wie die unsäglichen Einkaufstempel an den ausfransenden Stadträndern. Es scheint, als seien auch die Tage der Postfiliale Riethüsli gezählt. Dies kaum wegen des unerwünschten Besuches sprich Einbruchs – nein, so genannte Sparmassnahmen, während andernorts, weiter oben, die Börsen prall gefüllt sind.
Die jüngeren und älteren Menschen, die bei Thomas Christen und seinem Team eingekauft haben, werden sich in der Stadt eindecken müssen, neben den Grossverteilern bleiben nicht mehr viele Ausweichmöglichkeiten – eine und ich meine die Wichtigste davon wäre diese Adresse, mindestens für alle jene, denen gesunde, faire und regionale Produkte  – und ein genossenschaftlich geführter Betrieb – am Herzen liegen. Daneben bleiben der freitägliche Bauernmarkt sowie der Mittwochs- und Samstagsmarkt mit ihren langjährig vertrauten Gesichtern und Produkten: sie und sie. Und sonst ist nicht mehr viel… kaum ein Käsehändler, der so eine Vielfalt, gerade auch von den innovativen Toggenburgern, beispielsweise von ihm oder vom käsenden Paar aus Andeer anbietet.
Wie sich die Schliessung des Quartierladens und ggf. der Post (die Unterschriftensammlung wird nicht gross beeindruckt haben) auf das Quartierleben und geplante Bautätigkeiten auswirken werden, wird sich zeigen. Sicher ist, dass noch ein Stück mehr Monokultur Einzug halten wird, dass ein herzwärmender, positiver und unterstützender Ort fehlen wird und dass ein menschenfreundlicher, nachhaltig denkender Ein- und Verkäufer abtreten wird/muss. Was nicht nur für die KundInnen ein herber Verlust ist, sondern auch für jene Lieferanten, die ihre Preziosen niemals einem Grossverteiler anbieten möchten. Und: ganz gewiss ein „Chef“, wie es sie viel zu selten gibt … einer der seine MitarbeiterInnen als grosse Familie sieht und entsprechend mit ihnen umgeht. Traurig, schade und ein Beispiel mehr für den steten Wandel.
Danke, Thomas, danke liebes Verkaufsteam – wir haben oft gelacht und das ist gut!