Häutung 1: Wegbeschreibung

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Schafwollvlies, Merino- und Angorawolle gefärbt, Ziegenhaare, Asche,
Blut und Leinen

Leid, Gebrechlichkeit und Hadesgeruch machen sich breit. Sicherheiten werden brüchig, feine Risse sichtbar, vor dem Einschlafen tanzen wilde Fratzen. Angst und Unbehagen legen einen dunklen Teppich auf den Alltagsboden und verengen den Blick. Körperliche Einschränkungen machen sich heftiger bemerkbar, wachsen über den ihnen zugestandenen Raum hinaus.

Der Gang über den Fluss ist vorbestimmt, unausweichlich.

Häutung 2: Mensch unter Menschen

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Schafwollvlies natur, Merino- und Bouclewolle, Ziegenhaare,
Buchen- und Eichenlaub,

Mariendistelsamen, Leinen, Drahtgeflecht (Fundstück)

Den gesenkten Kopf heben und die Augen wandern lassen. Sie erkennen die Gesetze von Kommen und Gehen. Keimen, wachsen, einen Weg suchen und gehen, sich einfügen und irgendwann die Blätter fallen lassen, müde werden, sterben. Anfang und Ende sind grosse Geheimnisse.

Den Lebensweg gehen, mit Millionen Andern.

Häutung 3: Der Mensch ist verpackt

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Schafwollvlies natur, Angorawolle gefärbt, Ziegenhaare,
Maulbeerseide, Nessel, Kräuseldraht silber, Leinen

Wo wohnt das Ich? Was bleibt, wenn die Haut faltig ist, Bewegungen mühsamer werden und Organe aus dem Takt geraten sind? Aus den Tiefen taucht ein unantastbarer Wesenskern. Nichts, das mit Händen zu greifen wäre. Das schimmernde Etwas, das sich nachts auf die Reise macht und sich morgens eilig wieder in den Leib einnistet.

Die Seelenflügel sind tief drinnen, weit weit aussen.

Die Frage, was den Menschen letztlich ausmacht, hat mich bereits in einer Arbeit im Gestaltungskurs an der HGKZ in Zürich beschäftigt. In einer konzeptionellen Arbeit entstand die Verdichtung:“ Der Mensch ist verpackt. In die eigene Haut. Und wenn die Verpackung weg ist?“

Häutung 4: Ein eigenes Zimmer

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Schafwollvlies natur, Merinowolle gefärbt, Wildseide, Gotlandwolle,
Leinen, Vorfilze aus gefärbter Merinowolle, Seide, St.Galler Stickerei, Hasel geschält

Dem Dasein Farbe geben. Es nicht nur als reissenden Strom begreifen, dem das einzelne Menschenwesen ausgesetzt ist. Räume und Möglichkeiten der Eigengestaltung suchen, erkennen und besetzen. Nicht Knetmasse werden, sondern selber Form geben. Bunt und sperrig bleiben. Begrenzung und Anfälligkeit des Lebens mahnen an grösstmögliche Gegenwärtigkeit.

Ich lebe jetzt.

Häutung 5: Ich und Welt begegnen sich

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Schafwollvlies natur, Merino- und Angorawolle gefärbt, Seide,
Gotlandwolle, Leinen und Lammleder

Die Felder des Sein und Wirkens sind niemals abgeschlossen oder isoliert. Jede Handlung, jede Geste, ja vielleicht sogar jeder Gedanke gestalten und verändern die Welt. Der Mensch trägt seinen Teil zum Weltgesicht bei: im Kontakt mit einem geliebten „DU“ ebenso wie in den grösseren Zusammenhängen.

In den Begegnungsräumen trägt der Mensch Verantwortung – er knüpft am Welthaus.

Hüterin

Das Wort «Hüterin» bringen wohl die meisten Leute spontan mit der Polizei oder der Armee als Hüterin der Ordnung oder im umgekehrten Sinn mit der Verhütung oder mindestens Eindämmung von Gewaltbereitschaft, Gesetzesübertretungen oder Gewaltakten grösseren Ausmasses in Verbindung.

Näher im Leben steht uns jedoch sicher das Bild der Grossmutter als Hüterin ihrer Enkelkinder. Sie hütet und versucht, vor Schmerz und Leid zu bewahren, wacht bei Tag und Nacht über das Wohl der Anvertrauten. Tausend Fragen hat sie zu beantworten, nach dem Wieso, Warum, Wozu. Alte Traditionen versucht sie zu erhalten, Lieder, Verse, Spiele, alte Geschichten und vieles andere Generationen überschreitend weiter zu geben. Sie ist es, die von grosser Geduld und Lebenserfahrung getragen, Werte wie Anstand, Sitte, die Bedeutung von Liebe, Trauer und Freude, die Achtung anderer Menschen, der Tiere und den Respekt vor der ganzen Schöpfung den Grosskindern mit Geduld beizubringen versucht.

Wenn ich spontan überlege, sehe ich die Grossmutter als Hüterin ihrer Enkel, im Tun vergleichbar und fast so leidenschaftlich, wie es zu Urzeiten die Ritter als Hüter des heiligen Grals waren.

Loswerden

Als Hauswart möchte man manchmal recht gern einiges loswerden. Im Abfallkübel werden regelmässig Esswaren, zum Beispiel gute Schinken-Käse- Toasts, entsorgt. Da habe ich schon das Gefühl, manche Menschen möchten sogar den Wohlstand loswerden. Als gut erzogener Mensch möchte ich diese Verschwender recht gerne loswerden. Auch auf Randalierer, die aus Langeweile die Treppe zerstören oder die Hausfassade besprayen, könnte ich verzichten. Das heisst doch, ohne mir gross Gedanken zu machen, ich möchte sie loswerden.

Persönlich bin ich ein kleines Schleckmaul und möchte die Büchse mit den guten Appenzeller-Nidelzeltli, die auf meinem Schreibpult stehen, auf keinen Fall loswerden. So, jetzt habe ich einiges erzählt und möchte nur noch meine gut gemeinten Gedanken per E-Mail loswerden.

Schreiben

Sie werden es nicht glauben, aber ich habe die Aufgabe der Appenzeller Zeitung sehr eifrig in Angriff genommen, ohne das Geschriebene richtig gelesen zu haben. Sie kennen das, eine Gebrauchsanweisung liest man ja auch erst, wenn nichts mehr funktioniert. Also, ich habe Buchstaben in den PC getippt, habe mich über gelesen oder eben nicht gelesene Mails, Zeitungsartikel, Word-Dokumente und Graffitti ereifert. Habe mich über Geburtstagskarten geäussert, welche bei uns immer zusammen mit der Weihnachtspost im Briefkasten landen und noch auf dem gleichen Tablett liegen, wo vor einiger Zeit der Christbaum stand. Selbstverständlich möchte man sie nach der geruhsamen Adventszeit einmal in Ruhe nochmals durchlesen. Ich habe mich in meinem Artikel immer wieder gefragt, ob alles Geschriebene wirklich auch gelesen wird. Auch bei meinem Artikel stelle ich mir die Frage, ob der wohl gelesen wird. Eines ist mir aber sicher, bekomme ich ein Feedback von Appenzeller Zeitung Leserinnen und Lesern, war es so. Ich auf alle Fälle musste mit meinem Beitrag zum Thema «schreiben» nochmals von vorne beginnen, weil ich mit 1000 Wörtern statt Zeichen geendet habe. Hätte ich alles Geschriebene besser gelesen, hätte ich mir diese Arbeit sparen können.

Verteilen

«Doch wie die beiden anderntags erwachten und in die Stube kamen, ersahen sie mit Staunen und Verwunderung, dass all das Laub sich in lauter güldene Taler verwandelt hatte. Hocherfreut schüttelten sie die beiden leerstehenden Truhen auf dem Estrich voll, und den Rest verschenkten sie all den Bedürftigen in der Gegend.» Wer möchte nicht wie die beiden aus der Brüeltobel-Sage eines schönen Morgens aufwachen, die Augen reiben und feststellen, dass sich all der unnütze Wust des Vortages in pures Gold verwandelt hat?

Truhen müssten wieder her, um darin all das Geld dieser Welt aufzubewahren. Und plötzlich sähe der eine oder die andere, was sich in seiner Stube und auf ihrem Estrich – wenn auch meist nicht über Nacht – angehäuft hat: Keine abstrakte Zahl auf einem Bankauszug, sondern Berge von Gold und Silber. Gewisse Häuser würden überquellen, Decken und Böden bersten unter der Last des Edelmetalls. Vielleicht fiele es uns so leichter, «den Rest» an all die Bedürftigen in der (Welt-)Gegend zu verteilen …