Freudensammlung 2
Zum erstenmal seit langem ohne Mütze draussen, Stirnband im Rucksack.
Engelwurz und Fingerhüte scheinen sich vom Frost zu erholen.
Der alte Mann am Waldrand, der Reiswellen (Pöscheli, hätte mein Grossvater gesagt) machte.
Die Kinder, die ich von ferne im Wald herumspringen sah.
Dankbarkeit.
Gespürt, dass das eben begonnene Buch einen Sog entfaltet.
Genügend Briefpapier da. Marken auch.
Siegfried (der Winterlauch) keimt. Die seltenen Tomatensorten ebenso wie die Kardinalswicke.
Bei dibiost die heutige Zeitung erwischt.
Die Stille und viel unverplante Zeit.
Der Gegenspieler bekommt (noch) keinen Auftritt.
Archiv des Autors: Lisa Tralci
Trotz-dem zum Dreizehnten
Vielleicht mag das Titelbild auf die eine oder den anderen unangenehm wirken. Nicht wegschauen! Die fotografierende Schreiberin fand den Schädel (Schaf? Kalb?) vor einiger Zeit in einer Astgabel unweit ihres Wohnortes. Keine Ahnung, wie der Schädel auf diesen Ast kam. Nachdem sie heute Morgen in der Zeit zwischen Schlaf und Ganzwachwerden überlegt hatte, wieviele Wortzahlen in der obigen Titelzeile Platz haben könnten und beschloss, dass da dann irgendwann ein Ende kommen müsse; nun nach dem Schädel und dem beschränkten Titelplatz brachte Radio SRF 2 in der Reihe Kontext eine interessante Buchbesprechung, in der es (auch) um ein Ende, das Lebensende ging.
Es ging um das Buch Ausleben – Gedanken an den Tod verschiebt man gerne auf später.
Die Autorin Mena Kost hat zusammen mit der Fotografin Annette Boutellier das Buch Ausleben mit 15 Porträts von Menschen zwischen 83-111 Jahren gestaltet. Sie schauen auf ihr Leben zurück und nach vorne. Zu Wort und zu Bild kommen verschiedenste Menschen, die Bergbäuerin ebenso wie ein Nobelpreisträger.
«Man kann auch im Alter nicht stillstehen. Es geht immer weiter, der Endlichkeit entgegen.» Monica Gubser (1931–2019)
Das Interview mit der Autorin kann hier nachgehört werden. Das Buch mit diesem Gesicht wird bald den Weg zur Leserin finden…
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=0e9b0725-d616-44dd-94a5-947e251f1160
Trotz-dem zum Zwölften
Der bedeckte Himmel passt zur Tagesbefindlichkeit. Seit langem als DER Tag markiert, ist er jetzt in der universalen Monothematik ertrunken. Den Austritt aus dem aktiven sprich bezahlten Berufsleben hatte sich die Schreiberin doch ein ganz kleines bisschen anders vorgestellt. Gedacht war, nach einem intensiven Arbeitstag (und sie waren intensiv, auf diversen Ebenen…) zusammen mit dem kleinen Team engagierter Frauen essen zu gehen und sich von den Vorgesetzten, den Kollegen und Kolleginnen im Betrieb zu verabschieden. Peanuts, sicher, im Vergleich zu wirklich grossen, sich täglich manifestierenden Problemen! Und doch, auch traurig…
Im Nachdenken über diesen Stachel zeigt sich ein wiederkehrendes Muster. Immer wieder ergaben sich in den letzten Jahrzehnten Situationen, in denen bewusster Abschied unmöglich geworden ist. Die Bandbreite geht dabei von unerwarteten „Austritten“ in beruflichen Feldern bis zu freiwillig gewähltem Sterben. Dazwischen alles weiter Denkbare.
Frau versucht, eine Haltung des „abschiedlichen Umgangs“ zu kultivieren. Schliesslich könnte jede Begegnung die letzte sein. Die Lehrabschlussprüfung ist noch nicht bestanden!
Für heute und für die Seele gabs die Zeitung von gestern via e-paper der geschätzen Bibliothek (ach) und einen zweiten Kaffee.
Trotz-dem zum Elften
Worte
Wir reden zu viel
Schweigen zu wenig
Niederhagelnde Worte
Spritzen auseinander
Auf Suche nach Rillen
Und finden hin und wieder
Auch ein Bett
Durch das sich darauf
Rauschend und schäumend
Ein Bach zwingt
Der aber braucht
Einen schweigenden See
In den er münden darf.
Galsan Tschinag in: Jenseits des Schweigens. Waldgut, Frauenfeld.
Schweigend an Brennpunkte wie Madrid, Italien, die Favelas in Rio, England, NYC usw. denken.
Trotz-dem zum Zehnten
Freudensammlung 1
Sommerblumen keimen
Rote Lärchenzäpfchen vor dem Bürofenster
Keine Frostschäden im Frühbeet
„Meinen“ Kailash gesehen
Postkarten erhalten
Neue Briefmarken
Im Geiste viele Details eines Rastplatzes erinnert (Isola del Piano – ach…)
Grosse Freude, dass ein online-teaching klappt
Der winzig kleine Hoffnungsschimmer im Radiogespräch mit dem Tessiner Kantonsarzt
Radio generell
Gelacht
Dem Bussard beim Suchen von Nistmaterial zugesehen
E-Mail und whatsapp
Der Gegenspieler bekommt (noch) keinen Auftritt.
Trotz-dem zum Neunten
Nahrung ist notwendig.
Nahrung für den Geist auch. Sie kann not-wendend werden.
Die Zeitfülle, über die Viele jetzt verfügen, kann unterschiedlich genutzt werden.
Gedanken dazu fanden sich im heutigen Tagesgespräch, hier der Link für eine wertvolle halbe Hörstunde:
https://www.srf.ch/sendungen/tagesgespraech/der-jesuit-und-zen-meister-niklaus-brantschen-zu-corona
Trotz-dem zum Achten
Den Aussenhahn abgestellt.
Frostwächter in Betrieb.
Hoffnungssaaten zugedeckt.
Es wird kalt.
Trotz-dem zum Siebten
Leise
Nicht mit golden gereckten Trompeten
strahlt die Verkündigung: der Engel
täte besser, die Säume
seines langen Gewands aufzulesen,
sich zu setzen und auszuruhn.
Leise, aus der Stille allein
wird die Stimme, wo überhaupt, vernehmbar
aus Mangel
aus: Donata Berra. Zwischen Erde und Himmel. Gedichte. Waldgut Verlag
Nebelstille, wortlos
Trotz-dem zum Sechsten
Da sitze so etwas Dumpfes, Unsichtbares über allem. Diese Aussage, gespiegelt im obigen Bild, kommt oft. So als habe sich „etwas“ (es hat einen Namen) über die Welt gesenkt und damit in die kleinsten Zellen. Die hellen Frühlingstage ermöglichten kleine Fluchten, bald soll es wieder kalt werden. Die Vögel in den Bäumen und an den Nistkästen vor dem Bürofenster der Schreiberin ahnen (vermutlich) nicht, dass sie besser noch keine Brut beginnen – unbeirrtes Treiben.
Hier ist singuläres Dasein angesagt, seit Tagen und für weitere unbestimmte Tage, manchmal denkt die Leserin an Marlene Haushofer und ihr Buch „Die Wand“ oder an ein Haiku von Matsuo Basho. Er lebte von 1644 bis 1694, war ZEN-Mönch und gilt als Klassiker der Weltliteratur. Das wusste die lesende Schreiberin nicht, als es vor etwa dreissig Jahren in einem Seminar hiess, die Teilnehmenden hätten sich nun mit den Regeln eines Haiku auseinanderzusetzen. Drei Zeilen, etwa 17 Silben, möglichst ein Geschehen in der Natur (also im Aussen) das sich auch Innen des Menschen finden lässt. Nein! Das wollte die Kursteilnehmerin nicht. Schreiben ja, aber nicht in so engen Leitplanken. Lebensjahre sind auch Schäljahre… Irgendwann wurde sie vom Haiku-Virus erfasst. Sie las und probierte eigene. Plötzlich bekam das Schreiben mit engen Leitplanken einen besonderen Reiz. Ausprobieren, was trotz-dem möglich ist…
In Tagen wie diesen kommt ein Haiku nah (obwohl es jahreszeitlich scheinbar nicht „passt“, auf der Erlebensebene jedoch sehr gut):
Tief wurde der Herbst
gegenüber, der Nachbar,
wie mag es ihm gehn?
Trotz-dem zum Fünften
Die selbstverordnete Tagesstruktur scheint sich bis auf Weiteres zu bewähren. Zwei Telefongespräche: eines mit Rom (nein, weder Vatikan noch Quirinal!). Nach wie vor haben dort Mann und Frau in der Wohnung zu bleiben, Ausnahmen sind Einkaufen, Apotheken- oder Arztbesuch. Man hat jetzt Hunde, viele Hunde und diese müssen raus. Wo früher la macchina e il trafico pazzesco waren, wird gejoggt. Keine Ahnung, ob es dafür eine Sonderbewilligung gibt. Der Arbeitsplatz im Hotel (400 Zimmer, arabischer Eigentümer) ist weg, ob/wann und wie frau da entschädigt wird, steht in den Sternen.
Bevor das Telefon wieder läutet, bleibt Zeit für einen Gedankengang zum Thema Hausarrest Ausgangssperre: Sie gehen von kürzer werdenden Muskeln aufgrund fehlender Bewegung, Vitamin D3-Mangel, psychischer Verstimmung bis hin zum Hirnmuskel. Okay, den gibt es so nicht. Eine meiner gscheiten Lehrerinnen pflegte zu sagen: wenn du einen Marathon laufen willst, musst du trainieren. Soll dein Geist dich klug unterstützen, trainier ihn! Wach, achtsam und kritisch bleiben, gerade jetzt, hiesse das…
Ob die Schreiberin Tipps geben könne, wie er am besten ein Sachbuch machen solle. Fragt der 5.-Klässler. Thema? Der zweite Weltkrieg. Schluck. Es entwickelt sich ein spannendes Gespräch über Blickwinkel, Geschichtsschreibung, Wissen vor und hinter dem Vorhang, Oral History, unterschiedliche Quellen etc. . Konkrete Vorgehenstipps gabs dann auch noch.
Und: Gesät, pikiert und der drohenden Muskelverkürzung entgegengewirkt.