Mein Haus und mein Herz
Wenn ich je ins Leben trete
wird mein Haus keine Schlüssel
haben:
immer offen fürs Meer,
für die Luft und die Sonne.
Dass die Nacht und der Tag es
betrete,
der blaue Regen, der Abend,
und die Dämmerung, rot wie das Brot
und der Mond, den ich liebe.
Dass die Freundschaft den Schritt
über die Schwelle wage,
der Vogel den Flug
und die Liebe die Lippen. Alle.
Mein Haus und mein Herz
nie geschlossen, für alle:
für die Vögel, die Freunde,
für die Luft und die Sonne.
(Marcos Ana, 1920-2016)
Archiv der Kategorie: Fremde Texte
Was wir sind
Lange Stille. Mit dem Bild eines kurzen Sonnenblickes auf ARGA ein Gedicht, das oft weit mehr aussagt als ein langer Text. Dieser Blog hat einen neuen Namen bekommen und wer weiss, vielleicht werden die Wortmeldungen aus ARGA wieder mehr.
Astknoten in der Maserung Irrlichter aufleuchtend wie Sternschnuppen Spiralnebel Muschelschalengesang wirbelnde Welten inmitten von Welten Trautropfen auf Grashalmen Schneeflocken auf dem Meer Kräuselungen im Fluss widerhallende Tempelglocken Funken im Feuer wie Regenbogen im Himmel Wir sind Wirbel lebenden Lichts Lama Surya Das, geboren 1950 als Jeffrey Miller Dieses Gedicht schrieb er 1986 als poetische Antwort auf das letzte Haiku von Son Nakagawa Roshi
Trotz-dem zum Neunundzwanzigsten
Mit dem Bielefelder Huhn wünsche ich allen, die hier mitlesen, gute Osterzeit. Sie vielleicht nicht in der gewohnten Art feiern zu können, wirft Gewohnheiten und „Traditionen“ über den Haufen. Das bietet neuen Formen, anderen Gedanken – auch der Stille und Ruhe – die Möglichkeit, sich zu zeigen. Im Garten unserer persönlichen Möglichkeiten wetteifern Wunschsaat und Mitkräuter. Was soll ans Licht, was gelebt werden? Wo wurzelt, was immer wieder Unruhe, Missbehagen oder Schmerz bereitet? Zeit vielleicht, mehr Selbstverantwortung zu übernehmen UND unsere Selbstwirksamkeit zu erkennen.
Nichts, was sich über Ostern erledigen lässt. Auch nicht in dreissig Tagen oder einem Jahr. Jetzt gerade bietet sich Gelegenheit, immer mal wieder Distanz zu nehmen und zu fragen, was da genau geschieht. Nicht nur hier, wo vielleicht das Wunschmehl grad mal nicht erhältlich ist.
In diesem Sinne wünsche ich Leitsterne (die Göttinnen mögen die Schreibende vor LeitBILDERN beschützen!), Wegweiser, Urkraft, Entschlossenheit und den Mut, eigen zu werden und zu sein.
Ergänzend sei dieser Text angefügt.
Trotz-dem zum Achtundzwanzigsten
Bitte
von Hilde Domin
Wir werden eingetaucht
und mit den Wassern der Sintflut gewaschen
Wir werden durchnässt
bis auf die Herzhaut
Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht
der Wunsch den Blütenfrühling zu halten
der Wunsch verschont zu bleiben
taugt nicht
Es taugt die Bitte
dass bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe
dass die Frucht so bunt wie die Blume sei
dass noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden
und dass wir aus der Flut
dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.
Hilde Domin, Bitte.
Aus: dies., Gesammelte Gedichte.
Copyright: S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1987
Trotz-dem zum Sechsundzwanzigsten
wortkarg
brosamen
wirf sie nicht weg
nimm sie
als versprechen
samen sind
wundertüren
vielleicht wächst uns
eine schutzhecke
für die liebe
Sylvia Steiner in: eine andere geografie, Isele Edition 2010
Trotz-dem zum Zwanzigsten
Rabenschnur
Wer wird springen
wer bleiben
werden wir schwarz
weiss
oder unsichtbar
werden wir klein beigeben
werden wir die Zähne verlieren
werden wir uns wandeln
uns an die Stille gewöhnen
Wanda Schmid in: Sonnenfinten, eFeF-Verlag 2003
Trotz-dem zum Fünfzehnten
Der Gegenspieler hat Einlass verlangt. Hält sich nicht an Besuchszeiten sondern erscheint unangemeldet nachts um halb drei. Sommerzeit. Dämonen wollen Zuwendung, auch sie. Irgendwann, vermutlich zeitgleich mit der aufkommenden Helligkeit, zog er von dannen. Zeit, die Kissen zu schütteln, das Fenster weiter zu öffnen und stoffgebundene Drogen Koffein zu besorgen.
Bewegung beseitigt üblen Nach(t)geschmack, zuvor Briefe geschrieben, verziert und frankiert, mit dem Ellbogen rechts den gelben Briefkastenschlitz angehoben und drei bunte Couverts versenkt. Zurück der obligate Blogspaziergang, erst mal hier geschaut, sieht zunächst nach südfranzösischem Kochblog aus, entpuppt sich rasch als inspirierender Denkort. Weiter hier vorbei und bei Zeit gerne auch hier. Hinter den Schlagzeilen die Ankündigung, dass Hans-Eckardt Wenzel (wer bitte???) zusammen mit seiner Band eine neue CD eingespielt hat. Das Herbstlied von Wenzel begleitet die hier Schreibende seit vielen Jahren. Weshalb ist wieder eine andere Geschichte.
Die Sache hier scheint anzudauern. Zeit vielleicht, die eine oder andere Musik vorzustellen,
Trotz-dem zum Elften
Worte
Wir reden zu viel
Schweigen zu wenig
Niederhagelnde Worte
Spritzen auseinander
Auf Suche nach Rillen
Und finden hin und wieder
Auch ein Bett
Durch das sich darauf
Rauschend und schäumend
Ein Bach zwingt
Der aber braucht
Einen schweigenden See
In den er münden darf.
Galsan Tschinag in: Jenseits des Schweigens. Waldgut, Frauenfeld.
Schweigend an Brennpunkte wie Madrid, Italien, die Favelas in Rio, England, NYC usw. denken.
Trotz-dem zum Siebten
Leise
Nicht mit golden gereckten Trompeten
strahlt die Verkündigung: der Engel
täte besser, die Säume
seines langen Gewands aufzulesen,
sich zu setzen und auszuruhn.
Leise, aus der Stille allein
wird die Stimme, wo überhaupt, vernehmbar
aus Mangel
aus: Donata Berra. Zwischen Erde und Himmel. Gedichte. Waldgut Verlag
Nebelstille, wortlos
Trotz-dem zum Sechsten
Da sitze so etwas Dumpfes, Unsichtbares über allem. Diese Aussage, gespiegelt im obigen Bild, kommt oft. So als habe sich „etwas“ (es hat einen Namen) über die Welt gesenkt und damit in die kleinsten Zellen. Die hellen Frühlingstage ermöglichten kleine Fluchten, bald soll es wieder kalt werden. Die Vögel in den Bäumen und an den Nistkästen vor dem Bürofenster der Schreiberin ahnen (vermutlich) nicht, dass sie besser noch keine Brut beginnen – unbeirrtes Treiben.
Hier ist singuläres Dasein angesagt, seit Tagen und für weitere unbestimmte Tage, manchmal denkt die Leserin an Marlene Haushofer und ihr Buch „Die Wand“ oder an ein Haiku von Matsuo Basho. Er lebte von 1644 bis 1694, war ZEN-Mönch und gilt als Klassiker der Weltliteratur. Das wusste die lesende Schreiberin nicht, als es vor etwa dreissig Jahren in einem Seminar hiess, die Teilnehmenden hätten sich nun mit den Regeln eines Haiku auseinanderzusetzen. Drei Zeilen, etwa 17 Silben, möglichst ein Geschehen in der Natur (also im Aussen) das sich auch Innen des Menschen finden lässt. Nein! Das wollte die Kursteilnehmerin nicht. Schreiben ja, aber nicht in so engen Leitplanken. Lebensjahre sind auch Schäljahre… Irgendwann wurde sie vom Haiku-Virus erfasst. Sie las und probierte eigene. Plötzlich bekam das Schreiben mit engen Leitplanken einen besonderen Reiz. Ausprobieren, was trotz-dem möglich ist…
In Tagen wie diesen kommt ein Haiku nah (obwohl es jahreszeitlich scheinbar nicht „passt“, auf der Erlebensebene jedoch sehr gut):
Tief wurde der Herbst
gegenüber, der Nachbar,
wie mag es ihm gehn?