Archiv des Autors: Lisa Tralci

Bücher

In dieser Rubrik werden in unregelmässigen Abständen Bücher vorgestellt. Weiter sollen Hinweise auf besondere Texte Eingang finden. Und falls bewegte Bilder zum Schreiben veranlassen, wird auch der eine oder andere Film erwähnt. Meine Zeilen spiegeln meine persönlichen Eindrücke, sind unbeeinflusst von Verlagen und Buchhandlungen.

 

Tiziano Terzani: Noch eine Runde auf dem Karussell, Knaur Taschenbuch Verlag, 2007

Terzani, 1938 in Florenz geboren, studierte Jura in Pisa und Sinologie an der Columbia University in New York. Von 1972 bis 1997 war er Korrespondent des Nachrichtenmagazins Der Spiegel in Asien mit Sitz erst in Singapur, dann Hongkong, Peking, Tokio, Bankok und zuletzt Dehli. Daneben schrieb er für Il Corriere della Sera und La Republica und veröffentlichte zahlreicher Bücher. Terzani war in Asien eine „legendäre Figur“ (The Times London) und „kannte den Kontinent wie kein anderer seiner Kollegen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Im Juli 2004 starb er in Orsigna in der Nähe von Florenz.
Terzani engagierte sich bis kurz vor seinem Tod als Globalisierungsgegner und Pazifist. Er äusserte sich auch kritisch hinterfragend zu einem einseitig schulmedizinisch orientierten Gesundheitswesen. Im Netz sind viele weitere Infos zu TT.

In diesem Buch beschreibt Tiziano Terzani seinen Umgang mit der Diagnose Krebs. Schon während der schulmedizinisch orientierten Behandlung in einer amerikanischen Privatklinik kommt der Journalist zum Schluss, dass damit nur ein Teil der Krankheit behandelt worden ist. Andere Fragen stehen an: was macht krank, wie können Geist und Seele adäquate Unterstützung/Heilung erhalten und vorallem wo und durch wen? Terzani beginnt eine Reise auf der Suche nach alternativen Heilverfahren, verbunden mit Reflektionen zu grundlegenden menschlichen Sinn- und Daseinsfragen. Er durchreist äussere und innere Welten, begegnet Gurus und Meistern, Lehren und Mythen. Terzani verbindet Erfahrungen und Beobachtungen mit seinem Hintergrundwissen aus langjähriger Asienerfahrung, er ist offen und bereit, sich auf Angebote einzulassen – und scheut sich nicht, kritisch dazu Stellung zu nehmen oder Humbug zu benennen. Im Gegensatz zu thematisch ähnlichen Büchern wird Terzani niemals larmoyant, seine Krankheit oder seine Befindlichkeit sind ganz selten im Vordergrund. Im Gegenteil, angesichts der gesellschaftlich-politischen Bemerkungen des Autors, „vergisst“ die Lesende vielmals, was Ausgangspunkt dieser Reise war, die schlussendlich in einer kleinem Hütte am Himalaya endet. Terzani bringt Entwicklungen auf den Punkt: hier im Westen ebenso wie im von vielen „heimgesuchten“ Asien. Die so genannt moderne Welt (und ihre vermeintlichen „Weisen“) haben auf einige der drängenden Fragen keine Antworten. In einer Scheinwelt sind die schalen Konsumangebote Zückerchen für eine Masse, die sich atemlos in ihren Hamsterrädern abmüht und dabei grau und leer wird. Und in Asien sorgen die Götter „Geld und TV“ dafür, dass Traditionen vergessen gehen, Rituale zu Hülsen verkommen. . .

 

 

 

 

Filzprojekt: Fünf Häute und ein Gedicht

Ein Projekt im Rahmen der Ausschreibung „Inspiration Alter“ des Anderen Museums im Bürgerspital St. Gallen

Die Frage, was die Begegnung „mit dem Alter“ mit mir mache, habe ich mit fünf Filzhäuten und einem Gedicht beantwortet. Die notierten Themen empfand ich als Häutung, als Hindurch- und Weitergehen. „Haut“ im weitesten Sinne ist schon in meinen früheren Arbeiten aufgetaucht, an zwei Orten mache ich einen direkten Bezug.

Häutung 1-5 sind ca. 110 x 90 cm grosse Filzhäute aus ungefärbten Schafwollvliesen, je nach Thema ergänzt mit Materialien wie Asche, Blätter, Ziegenhaare etc.
Häutung 6 ist ein Gedicht, im Bleisatz gesetzt und im Bodoni Waldgut Atelier in Frauenfeld mit einer Handpresse auf Japanpapier gedruckt.

Häutung 1: Wegbeschreibung

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Schafwollvlies, Merino- und Angorawolle gefärbt, Ziegenhaare, Asche,
Blut und Leinen

Leid, Gebrechlichkeit und Hadesgeruch machen sich breit. Sicherheiten werden brüchig, feine Risse sichtbar, vor dem Einschlafen tanzen wilde Fratzen. Angst und Unbehagen legen einen dunklen Teppich auf den Alltagsboden und verengen den Blick. Körperliche Einschränkungen machen sich heftiger bemerkbar, wachsen über den ihnen zugestandenen Raum hinaus.

Der Gang über den Fluss ist vorbestimmt, unausweichlich.

Häutung 2: Mensch unter Menschen

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Schafwollvlies natur, Merino- und Bouclewolle, Ziegenhaare,
Buchen- und Eichenlaub,

Mariendistelsamen, Leinen, Drahtgeflecht (Fundstück)

Den gesenkten Kopf heben und die Augen wandern lassen. Sie erkennen die Gesetze von Kommen und Gehen. Keimen, wachsen, einen Weg suchen und gehen, sich einfügen und irgendwann die Blätter fallen lassen, müde werden, sterben. Anfang und Ende sind grosse Geheimnisse.

Den Lebensweg gehen, mit Millionen Andern.

Häutung 3: Der Mensch ist verpackt

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Schafwollvlies natur, Angorawolle gefärbt, Ziegenhaare,
Maulbeerseide, Nessel, Kräuseldraht silber, Leinen

Wo wohnt das Ich? Was bleibt, wenn die Haut faltig ist, Bewegungen mühsamer werden und Organe aus dem Takt geraten sind? Aus den Tiefen taucht ein unantastbarer Wesenskern. Nichts, das mit Händen zu greifen wäre. Das schimmernde Etwas, das sich nachts auf die Reise macht und sich morgens eilig wieder in den Leib einnistet.

Die Seelenflügel sind tief drinnen, weit weit aussen.

Die Frage, was den Menschen letztlich ausmacht, hat mich bereits in einer Arbeit im Gestaltungskurs an der HGKZ in Zürich beschäftigt. In einer konzeptionellen Arbeit entstand die Verdichtung:“ Der Mensch ist verpackt. In die eigene Haut. Und wenn die Verpackung weg ist?“

Häutung 4: Ein eigenes Zimmer

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Schafwollvlies natur, Merinowolle gefärbt, Wildseide, Gotlandwolle,
Leinen, Vorfilze aus gefärbter Merinowolle, Seide, St.Galler Stickerei, Hasel geschält

Dem Dasein Farbe geben. Es nicht nur als reissenden Strom begreifen, dem das einzelne Menschenwesen ausgesetzt ist. Räume und Möglichkeiten der Eigengestaltung suchen, erkennen und besetzen. Nicht Knetmasse werden, sondern selber Form geben. Bunt und sperrig bleiben. Begrenzung und Anfälligkeit des Lebens mahnen an grösstmögliche Gegenwärtigkeit.

Ich lebe jetzt.

Häutung 5: Ich und Welt begegnen sich

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Schafwollvlies natur, Merino- und Angorawolle gefärbt, Seide,
Gotlandwolle, Leinen und Lammleder

Die Felder des Sein und Wirkens sind niemals abgeschlossen oder isoliert. Jede Handlung, jede Geste, ja vielleicht sogar jeder Gedanke gestalten und verändern die Welt. Der Mensch trägt seinen Teil zum Weltgesicht bei: im Kontakt mit einem geliebten „DU“ ebenso wie in den grösseren Zusammenhängen.

In den Begegnungsräumen trägt der Mensch Verantwortung – er knüpft am Welthaus.

Hüterin

Das Wort «Hüterin» bringen wohl die meisten Leute spontan mit der Polizei oder der Armee als Hüterin der Ordnung oder im umgekehrten Sinn mit der Verhütung oder mindestens Eindämmung von Gewaltbereitschaft, Gesetzesübertretungen oder Gewaltakten grösseren Ausmasses in Verbindung.

Näher im Leben steht uns jedoch sicher das Bild der Grossmutter als Hüterin ihrer Enkelkinder. Sie hütet und versucht, vor Schmerz und Leid zu bewahren, wacht bei Tag und Nacht über das Wohl der Anvertrauten. Tausend Fragen hat sie zu beantworten, nach dem Wieso, Warum, Wozu. Alte Traditionen versucht sie zu erhalten, Lieder, Verse, Spiele, alte Geschichten und vieles andere Generationen überschreitend weiter zu geben. Sie ist es, die von grosser Geduld und Lebenserfahrung getragen, Werte wie Anstand, Sitte, die Bedeutung von Liebe, Trauer und Freude, die Achtung anderer Menschen, der Tiere und den Respekt vor der ganzen Schöpfung den Grosskindern mit Geduld beizubringen versucht.

Wenn ich spontan überlege, sehe ich die Grossmutter als Hüterin ihrer Enkel, im Tun vergleichbar und fast so leidenschaftlich, wie es zu Urzeiten die Ritter als Hüter des heiligen Grals waren.

Loswerden

Als Hauswart möchte man manchmal recht gern einiges loswerden. Im Abfallkübel werden regelmässig Esswaren, zum Beispiel gute Schinken-Käse- Toasts, entsorgt. Da habe ich schon das Gefühl, manche Menschen möchten sogar den Wohlstand loswerden. Als gut erzogener Mensch möchte ich diese Verschwender recht gerne loswerden. Auch auf Randalierer, die aus Langeweile die Treppe zerstören oder die Hausfassade besprayen, könnte ich verzichten. Das heisst doch, ohne mir gross Gedanken zu machen, ich möchte sie loswerden.

Persönlich bin ich ein kleines Schleckmaul und möchte die Büchse mit den guten Appenzeller-Nidelzeltli, die auf meinem Schreibpult stehen, auf keinen Fall loswerden. So, jetzt habe ich einiges erzählt und möchte nur noch meine gut gemeinten Gedanken per E-Mail loswerden.