Die Fachstelle für Aids- und Sexualfragen St. Gallen wurde dieses Jahr 20 Jahre alt. Aus diesem Anlass waren Kunstschaffende der Region eingeladen, eine Art Gesamtkunstwerk mit dem Titel „Erklär mir Liebe“ zu realisieren. Das gleichnamige Gedicht von Ingeborg Bachmann war gedanklicher Ausgangspunkt dieses Kulturprojektes.
Schreibende aus der Region waren eingeladen, einen Text (eine Seite) zu eben diesem Thema zu verfassen. Mein Beitrag:
Die Liebe gibt es nicht und ich weiss, dass ich dich liebe (sinngemäss nach Rafael Alberti)
Nein, Erklärungen erwartest Du von mir vergebens. Ich kann Dir bestenfalls ein Rezept erklären, eines für Kuchen oder Reis, nicht ein einziges aber, das mit dieser Sache zu tun hat. Mit dieser Angelegenheit, von der ich mich zu bestimmten Zeiten am liebsten fern gehalten hätte; die ungezähmt und wilden Stürmen gleich in mein Leben eingefallen ist; diese Sache, die Regeln und Gesetzen ihre Widerborst entgegensetzt; sich schert um den passenden Zeitpunkt, um Logik oder eben Erklärbarkeit. Du weißt, dass rund um dieses Ereignis von chemischen Reaktionen gesprochen wird, von der Unfreiheit des Subjekts, vom Verlangen, sich fortzupflanzen usw. usf. Vielleicht mögen sie recht haben in ihrem forschenden Drängen, Erklärungen sind Sache ihres Metiers. Möglicherweise aber – lies diesen Satz und die folgenden als zwischenzeitliches Fazit eines unruhigen Lebens – haben die Nobelhungrigen ihrer Akribie den einen oder andern kleinen Nebenbereich vorenthalten. Ich denke nicht an Hirngucker, Emotionssezierer oder Synapsenprüfer, wenn ich mich mit Dir im wilden Dost wälze, in dein Löwenhaar greife oder dir die Mondmilch vom Leib lecke. Ist Küssen etwa anders, wenn mich eine Wirkungstheorie dabei begleitet? Die Liebe (du weißt, dass mir dieses Wort nur schwer über die Zunge kommt, inflationär ausgehöhlt wie es ist) scheint oft ein flüchtiges Gebilde zu sein, nicht immer ist sie der Kitt der goldenen Feste. Käfige – da gleicht sie den Tieren – bekommen ihr nicht, leichtfüssig schlüpft sie zwischen den Gitterstäben durch, hinaus, wo Luft und Tau und Licht sind, um selten wiederzukehren.
Es ist dieser nicht greifbaren, chemischen Reaktion immerhin gelungen, mich auf die Knie zu zwingen, grenzenlose Trauer auszulösen und mich zeitweise von allen Lebenskräften abzuschneiden. Und es ist ihr nicht minder gelungen, mich trunken, berauscht, von Sinnen sein zu lassen. Ich hab mich aufgeschwungen, mir die Flügel besonnen lassen und mich einer unsichtbaren Thermik hingegeben. In der Liebe – dem was die eine oder der andere so benennen will – wohnt beides: hell und dunkel. Und tausend Zwischenfarben.
Es mag Glück sein (vielleicht auch Arbeit), wenn es gelingt, den einen oder andern Trieb zum Verweilen zu bewegen, das Flüchtige in ein Gewebe zu verwandeln, in dem es sich atmen lässt, das locker umspielt oder sogar wärmt und trägt. Glück auch, wer sie noch als solche sehen mag, wenn ihre Zeit vorbei ist, wenn sich Wege trennen.
Ein Gedanke noch, ein leiser. Wenn es gelänge, sie weit fliegen zu lassen, sie nicht einzusperren in die Enge der Zweisamkeit, wenn ausgesprochen würde, dass Lust und Verlangen mächtige Luftwurzeln tanzen lassen und sich dann und wann wenig kümmern um Buchstaben oder Moral, dann vielleicht wäre sie etwas bleibender, greifbarer, lebendiger. So, dass ich sie sehr lange mit dir hüten möchte, vierhändig, sie oder die Essenz ihrer Anwesenheit.
Lisa Tralci