Kubli und die toskanische Ordnung

Anfangs Dezember fand im Alten Zeughaus Herisau unter dem Titel «Bewegung» eine zwei Wochen dauernde Aktion statt. Kunstschaffende aus verschiedenen Sparten und viele BesucherInnen belebten die Räume an der Poststrasse in Herisau.
Zeitgleich wurde bekannt, dass der Gemeinderat Herisau der Gruppe «Kultur is Dorf» Fr. 5000.—(die Hälfte des bisherigen Beitrages) streichen will.

Ich werde diesen Auftrag zurück geben. Ich habe 27 Textanfänge im file «Al-tes Zeughaus» und keinen weiter ausgeführt. Ich bin vor diesem Gebäude ge-standen, an hellen Vormittagen und in den Abendstunden, stundenlang sass ich auf der Treppe der gegenüberliegenden Post – die seltsamen Blicke habe ich ignoriert, auch die Vorstellung, die eine und der andere tippe sich an Schläfe, kaum seien sie aus meinem Blickfeld verschwunden. Später dann tat ich so, als warte ich auf den Bus, ich sass im Wartehäuschen, malte Kringel auf meinen Schreibblock, einmal habe ich mich in dieses Gebäude eingeschlos-sen, zwei Äpfel, eine Flasche Wasser, besagter Block und ich, was wie alle an-deren Versuche zu rein gar nichts führte, von einer Erkältung abgesehen; im Gegenteil, jeden Morgen wenn ich die Agenda aufschlage, äugt die Pen-denz, sie wartet, immer ungeduldiger und parallel zu ihrer Ungeduld wächst mein Notstand, ich grase rund herum, habe die Geburtstage aus dem Kalen-der 2003 in den Kalender 2004 übertragen, vier Bundesordner für das nächste Jahr mit Georgia Schriftgrad 18 beschriftet, Altpapier gebündelt und Staub gewischt zwischen den Lamellen der Heizkörper.

Denn, was kann geschrieben werden zu einem Gebäude wie diesem, – die geschichtlichen Aspekte sind abgedeckt – es ist nur temporär belebt, zudem steht es quer, dieses Haus, quer in seinem Baustil, quer in der Farbgebung, quer vielleicht auch in seiner Nutzung. Warum denn ein Architekt namens Felix Walter Kubli in den Jahren um 1836 ein solches, in florentinischem Baustil ge-haltenes Gebäude geplant habe, als einziges in dieser Art im ganzen Dorf, fragte ich einen anderen Architekten, einen heutigen. Seine Antwort blieb vage, er sprach von «sich in Pose setzen», von auffallen wollen, ich glaube, er murmelte gar noch etwas von Extravaganz. Extravaganz. Wenn mich jemand fragen würde, ich mag Extravaganz. Bei den andern. Auch wenn sie irgend-wie nicht aufgeht. Im Ausserrhodischen schon gar nicht. Ausschweifend oder überspannt zu sein wird hierzulande rasch geahndet, die Welt ist klein, man kennt sich und klopft den aussergewöhnlichen oder aufmüpfigen Ideen auf die Finger, lange bevor sie ausgesprochen sind. Schafft es die eine oder an-dere auf unerklärlichen Wegen doch ans Licht, kommt das Spargelprinzip zur Anwendung. Sie kennen es, die Ideen köpfen und in die Pfanne damit. Dort schmurgeln sie so lange, bis ausser unverdaulichen Faserteilen nichts mehr bleibt. Hier im Osten ist man nüchtern, pragmatisch und vor allem, man fällt nicht auf. Ob er, der möglicherweise der Extravaganz anheim gefallene Ar-chitekt Kubli – im elektronischen Teilnehmerverzeichnis findet sich der Name noch einige Male, ein Metzger, eine Heilpädagogin, ein Wirtschaftsjurist unter anderen – zu fragen hab ich mich nicht getraut, wer da wem vorgefahren sei – ob er, besagter Kubli also, eine Zeitlang in südlichen Gefilden gelebt haben mag, um Florenz oder in der Maremma vielleicht? Und könnte es sein, dass er bei dieser Gelegenheit so etwas wie eine Liaison hatte (ich liebe dieses Wort Liaison, ebenso wie eine Ecke meines löchrigen Herzens die damit verbunde-nen Geschichten mag), hat Kubli hinter den Alpen goldene Herzfäden ge-sponnen, um später dann, der Südwärme beraubt, wieder im kalten Osten, die Zeit anzuhalten, ein Denkmal zu setzen, Licht zu pflanzen vielleicht.

Kann es sein, dass der Architekt diesen Bau einer Geliebten gewidmet hat und könnte es weiter sein, dass sie, eine Florentinerin vielleicht, (fern und stolz), das ihr gesetzte Denkmal gar nie gesehen hat, wie überhaupt niemand aus-ser Kubli selbst etwas über die Hintergründe dieses queren Bauwerkes weiss, weil man, wie wir alle wissen, solche herzensangelegentlichen Widmungen weder zu deklarieren noch zu gravieren pflegt, besonders dann nicht, wenn sie südlicher Art sind, ausser manchmal bei Gedichten, für Anna-Katherina, Rudolf oder Robert. Sie werden acht geben müssen, wenn sie dieses Gebäu-de je renovieren, es könnte sein, dass Kubli in einer heftigen inneren Aufwal-lung ihre Briefe in kleine Schnipsel zerrissen hat und einmauern liess, vorbei und doch nie vorbei. Je länger ich darüber nachdenke, je mehr ich mir diese un-gewöhnlich lichtfängerische Farbe an der Aussenhaut anschaue, desto siche-rer bin ich: Kubli hat Südlicht gegessen. Kubli hat einen Traum gelebt. Träume aber haben es hierzulande ähnlich schwer wie die Extravaganzen. Ich lasse die Kombination extravagante Träume, alles was recht ist, keine funkelnden Schiffe hier, keine Alleen, kein Haus der Lebenskunst. Garstig will ich’s nicht nennen, karg vielleicht, bescheiden (noch eben eine Zier, für Frauen im be-sonderen), karg also ist es um die Träume bestellt, nur frage ich mich, wenn das mit dem Träumen schon so geht, wenn die Scheren in den Köpfen so scharf geschliffen, wenn Traum und Fantasie kupiert, halbiert und tausend-fach dividiert, woher dann, frage ich mich weiter, kommt das Feuer für irgend eine Idee, ein Werk, eine Tat, eine Liebe gar, wenn so früh all das wenn und all das aber, das gewohnte Nein, Kopfschütteln, die laufende Rechnung, die Leute und überhaupt. Kann es sein, dass man uns die Träume gestohlen hat, kann es sein, dass wir diesem Frevel einfach zugesehen haben und jetzt dasit-zen, nüchtern, blutleer und mit bleichen Herzen? Erst hatten wir keine Traum-zeit und später dann sind sie umgezogen, die Träume, Adresse unbekannt.

Und während ich so da sitze und über Kubli und dieses Alte Zeughaus und die verlorenen Träume nachdenke und gleichzeitig noch immer keine Ahnung habe, wie ich in einen Text über eben dieses Haus einsteigen könnte, fährt die linke Hemisphäre der rechten übers Maul, in dem sie jeden Satzanfang und jede Textidee ins Nichtbrauchenkönnenland verwünscht, sie tut es so lange und so heftig, bis die rechte Hemisphäre schmollt, die Türe im Kopf heftig zu-schlägt, so heftig, dass die Synapsen aufheulen, was mir einerseits einen ste-chenden Schmerz im Kopf bereitet und mich andererseits veranlasst, der trot-zenden rechten den Hals zu kraulen, ihr beruhigend zuzusprechen, sie mit lei-sen Lockrufen wieder aus ihrer Höhle zu holen und noch während ich das tue und die rechte ihren Platz neben der linken wieder besetzt, ja genau in diesen Moment fällt mir ein, dass es im anderen Leben, in dem draussen, genau um-gekehrt ist, da fährt die rechte der linken und wie sie fährt, aber lassen wir das, ich war bei Kubli und einem Text und von beidem weiss ich wie gesagt wenig.

Ich sitze vor dem Bildschirm, lese einen ungeschriebenen Text, rutsche etwas zur Seite weil ungefragt ein ungeträumter Traum, der in seinem Schrank auf einen Auftritt gewartet hat in den Kopf will, in meinen und in die Köpfe der Wilden und die der Alten, in den mit der Dauerwelle und in einen, dessen Sprache hier keiner spricht. Er ist rot, der Traum, so rot wie das Feuer, das die-sem Ort fehlt und so warm wie die Glut in den Herzen derer, die hier sind und tun seit Jahren, mit roten Wangen und der Zungenspitze im Mundwinkel. Zun-der, Luft und Brennstoff müssen her, für ein Lebenslabor in der Alpenstadt, Utopia an der Poststrasse, vielleicht auch nur noch der Aufschrei vor dem Un-tergang, der aber laut und eindringlich. Er stösst mich in die Seite, dieser sper-rige Traum, wächst und als ich ihn mit meinen beiden Händen fassen will um ihn wieder dorthin zu stellen, wo er seit Jahren war, weitet er seine Dimensio-nen, ich erhasche nur mehr Bruchstücke, Traumfetzen, rote Teilchen und wie ich diese in den Händen halte und in den Traumschrank zurückschliessen will, sehe ich, dass sie Spuren hinterlassen, es sind rote Spuren und als ich genauer schaue, ist es der obere Bogen des Einfahrtstores toskanischer Ordnung. Sie sind überall, diese roten Bögen, auf dem Bildschirm, an meinen Händen und als ich in den Spiegel schaue, leuchtet einer auf meiner linken Wange. Ich reibe, dabei sollte ich endlich schreiben, dieser Auftrag, er macht mich irr, der Auftrag, Kubli und der Traum vom roten Bogen toskanischer Ordnung.

Ich gebe diesen Auftrag zurück.

Lisa Tralci, Okt. 2003

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