Archiv der Kategorie: Eines von 286

Zeitungen transportieren Neuigkeiten. Diese sind oft negativ gefärbt, berichten von schlimmen Ereignissen, von Leid, Schmerz und Gewalt. Das Wort wird Träger, Bote und Werkzeug, es verliert sich in den Fluten der Meldungen.Um die Worte aus diesen Wirklichkeiten zu schälen, um sie zu befreien und um ihnen während einer bestimmten Zeitspanne eine andere Aufmerksamkeit zu schenken, habe ich ein Jahr lang an jedem Werktag – an dem ich in Herisau war – ein Wort aus einer Titelzeile der Appenzeller Zeitung geschnitten. Ich habe das Wort gewählt, das mich als Erstes positiv angesprochen hat.Nach Ablauf dieses Jahres liegen 286 Wörter da. Ich habe diese Worte an ausgewählte und/oder unbekannte Menschen geschickt, mit der Bitte, sich Gedanken zu machen zum jeweils zufällig zugeteilten Wort. Was löst es für Assoziationen aus? An was erinnert es? Wann würden Sie es einsetzen? Die von mir ausgewählten Worte werden neu belebt, aufgeladen, sie zeigen ihre Mehrdeutigkeit und fliessen durch die anschliessende Veröffentlichung der Texte wieder zurück in die Zeitung.Meine Aktion ist ein Versuch, der täglichen Wortflut einen Akt des Verweilens gegenüberzustellen – wenn hundert Menschen jeweils etwa zwei Stunden für «ihr» Wort aufwenden, ergibt das etwa 200 Stunden «für das Wort».Ab 7. August an (fast) jedem Werktag Gedanken zu einem ausgewählten Wort! Hier. So lange der Textvorrat reicht. Lesen Sie mit?!

Toggenburg

Toggenburg ist eine liebliche, hügelige Landschaft, umringt von Bergen. Es hat vielseitige Traditionen, die den appenzellischen sehr ähneln.

Im Toggenburg gibt es viele sehr gute Sportler, zum Beispiel Simon Ammann, Jörg Abderhalden und Nöldi Forrer, die das Ländli weit über die Kantonsgrenze hinaus bekannt machen. Früher waren es Willi Forrer und Walter Steiner und so weiter. Auch die Volksmusik und der Volksgesang sind weitherum beliebt und bekannt. Ebenfalls wird im Toggenburg der Natur und dem Bauernstand Sorge getragen. Auch der Baustil passt noch in den meisten Orten in die Landschaft.

Augenstern

Die «Augen» sind der Spiegel der Seele – und die «Sterne» die Leitspur am Himmel. Beide können strahlen, die einen eher tagsüber, die andern in klaren Nächten. Ein «Augen-Stern» wird somit dann entstehen, wenn sich die Seele eines Menschen strahlend zeigt. Der Gegensatz dürfte mit den Begriffen «eiskalte» Augen oder «seelenlose» Augen ausgedrückt werden – Zeichen für einen Menschen, der keine Vision mit sich trägt, ein Mensch, der keine eigene Leitspur hat, die sie oder ihn zum Strahlen bringt.

Unsicher werde ich bei dem Gedanken, ob Tiere «Augensterne» haben? Sie treten manchmal ja auch über die Augen mit uns in Kontakt. Ob sie wohl Visionen mit sich tragen, die sie uns mangels gemeinsamer Sprache nicht weiter übermitteln können? Sicher bin ich hingegen, dass die Augen für mich eines der wichtigsten Mittel zur gegenseitigen Kommunikation sind – und dass ich mit viel mehr Freude in «Augen-Sterne» schaue, die mir Lebendigkeit und Fantasie meines Gegenübers vermitteln – das verstehen Sie doch sicherlich?

Glückssucher

Glückssucher ist männlich. Ich bin weiblich. Ich wäre eine Glückssucherin. Wäre, wenn ich auf der Suche nach dem Glück wäre.

Wenn ich nach dem Glück suchen würde, müsste ich mir überlegen, ob ich wüsste, wo es zu finden wäre. Müsste wissen, ob sich die Suche lohnen würde. Lohnen, aber in welchem Sinne?

Und, wenn ich gar nicht suchen müsste, wenn es mir zufallen würde. Ohne zu suchen. Das Glück. Würde ich erkennen, dass ich es schon gefunden hätte? Gefunden, ohne zu suchen. Dann wäre ich glücklich.

Kräfte

Kräfte, die Mehrzahl von Kraft; löst bei mir mehr negative Gedanken aus. Wenn die Natur ihre Kräfte in Form von Stürmen und Blitzen auslöst, dann werden wir Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Ja ein Wirbelsturm, und solche kommen auch bei uns in Europa vermehrt auf, so verursachen diese Naturkräfte grosse Schäden an Kulturen und Gebäuden. Schlimm können sich auch die Kräfte unter der Motorhaube auswirken. In letzter Zeit mehren sich die Strassenunfälle, wo vorab junge Menschen diese Kräfte überschätzen und nicht mehr in ihrer Gewalt haben. Oft sind auch unschuldige Personen betroffen. Die Folgen lösen bei mir Wut und Trauer aus.

Positive Eindrücke werden hingegen bei mir geweckt, wenn ich das Wort in der Einzahl ausspreche: Kraft. Die Muskelkraft bei einem Athleten, wenn er sie beim Sportanlass, zum Beispiel als Kugelstösser oder als Schwinger, einsetzt. Die Kraft der Sonne, die uns täglich Licht und Wärme bringt. Das ist dann für mich nicht mehr menschliche, sondern göttliche Kraft. Nicht umsonst hat uns Jesus im Vaterunser gelehrt: Denn Dein ist die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen. Es ist gut so, dass nicht wir, sondern ein Höherer über Kraft und Kräfte bestimmt. Dies muss uns auch in Zukunft immer bewusst sein.

Stern

Ein Stern in Einzahl sagt mir wenig: Seit ich meine Augen mit Laser korrigieren liess, sehe ich zwar viel besser, aber dafür die Sterne doppelt. Und das empfinde ich als Privileg: Ich liebe den Sternenhimmel, und deshalb macht es doppelte Freude, eine doppelte Anzahl Sterne zu sehen …

Als Privileg betrachte ich es auch, im Appenzellerland in einer Gegend zu wohnen, die noch die Dunkelheit der Nacht kennt und so überhaupt erst den freien Blick in den Sternenhimmel erlaubt … Bei seinem Anblick geht es mir wahrscheinlich wie Ihnen: Es ist das beste Mittel dagegen, sich selbst und seine Probleme zu wichtig zu nehmen. Aus Sicht der Sterne sind wir aus Sternenstaub gemacht, vielleicht, um sie zu bewundern, doch so unwichtig wie für uns der Staub auf unseren Regalen …

Und dann gibt es da die menschlichen Sterne in meinem Leben. Nicht die Stars der öffentlichen Medien, die kommen und vergehen eher wie Sternschnuppen als wie richtige Sterne. Meine Stars sind Menschen, die mir etwas bedeuten, und denen ich etwas bedeute. Diese Sterne allerdings sind sehr wohl singulär, einzigartig jeder einzelne, und gerade wegen dieser Individualität liebenswert …

Frühlingswetter

Zitat meiner Tochter, die seit dem Ende der Sommerferien die 1. Klasse besucht: „Es ist schön im Frühling.“

Nun, da bin ich gleicher Meinung wie meine Tochter. In Erinnerung haben wir wirklich, dass es im Frühling schön ist. Ja, mit dem „schön“ wollte es dieses Jahr einfach nicht so recht klappen, vor allem der Sommeranfang liess zu wünschen übrig. Einen Vorteil hatte es, denn das wechselhafte Wetter bescherte uns allerhand Gesprächsstoff. Da meinte doch der Briefträger, dass man von einem Schaltjahr kein gutes Wetter erwarten könne. Auch die Nachbarin wusste darüber Bescheid. Auf jeden Fall sieht meine Tochter diese Tatsachen weniger eng als wir Erwachsenen. Ich habe mich Anfang Jahr entschieden, dieses Jahr das Gärtnern zu lassen, Zufall oder nicht? Auf jeden Fall lebe ich nun in der Illusion, dass ich einen grünen Daumen habe, denn das letzte Jahr beschenkte mich mit einer super Ernte. Leider habe ich noch niemanden getroffen, der das Wetter selber verändern konnte, dies wäre sicher der letzte Schrei… Damit nicht nur der Frühling, sondern auch das Wetter schön ist.

Buch

Zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Seit je bin ich von Büchern umgeben, sogar in der Nacht, wenn ich in meinem Bett, das gleichzeitig auch als Bücherschrank funktioniert, schlafe. Ich frage mich aber nun, angeregt durch Lisa Tralcis Projekt, ob es nun ein spezielles Buch gibt, das mein Schicksal massgebend beeinflusst und geformt hat. Diese Frage kann ich nicht eindeutig beantworten. Sicher ist, dass Jan Slauerhoff, ein holländischer Schiffsarzt, Dichter und Schriftsteller, mich als Jugendlicher sehr beeindruckt hat. Slauerhoff, der sich mit Camões, einem Poète maudit, verwandt fühlte, streifte ruhe- und rastlos auf den Ozeanen und an fremden Küsten umher. Sehnsüchtig auf der Suche nach dem Glück, ohne irgendwo einen Heimhafen zu finden. Aus heutiger Sicht glaube ich vielmehr, dass Slauerhoff meine romantischen Sehnsüchte nach der Ferne gestillt hat. Seine Gedichte fanden also in meiner Seele einen guten Nährboden. Die Wirklichkeit verlief dann viel unspektakulärer. Mit dem Ozean wurde nichts, immerhin schaffte ich es rheinaufwärts, leider nur Binnenschifffahrt, nach Schaffhausen am Rheinfall und fühlte mich schon bald sehr daheim in der Schweiz.

Nischen

Als ich von Ihrer Zeitung das mir zugedachte Wort erhielt, war ich für einen Augenblick fassungslos, da es mich zu einem Zeitpunkt antraf, wo ich mich selbst in einer Nische befinde, voller Erinnerungen an den liebsten Menschen, den ich an eine andere Nische verlor.

Nische – was für ein schönes Wort! Es berührt einen sofort. Es klingt nach Rückzug, Stille, Frieden und Geborgenheit. Sind wir nicht alle unentwegt auf der Suche nach einer Nische? Wohl jeder von uns braucht Nischen. Eine Nische mit Erinnerungen an Vergangenes, Verlorenes, gelebtes Glück. Eine Nische für kleine Geheimnisse. Eine verborgene Nische mit noch Unbekanntem, das es zu entdecken gibt. Eine Nische ist auch unser Zuhause, wir schliessen die Tür und die Welt bleibt draussen. Und nicht zu vergessen sind die Nischen, in denen jene Menschen ruhen, die uns schon verlassen haben. Jetzt suche ich eine neue Nische, die mir den Weg in eine andere, neue Zukunft zeigen soll. Nischen, ein Wort, das sicher noch mit mehr als 1000 Zeichen beschrieben werden könnte.

Wehmut

War es wirklich Zufall, dass dieses Wort einem älteren Leser der Appenzeller Zeitung zugeteilt wurde?

Für mich bedeutet dies Rückschau zu halten auf einen längeren Lebensabschnitt mit vielen schönen, erfreulichen, aber auch eher traurigen Erlebnissen sowie Zeiten. Die schönen, erfreulichen sind in grosser Überzahl, was soll ich schreiben, auswählen?

Mit Wehmut denke ich an die Zeit zurück, als die Arbeitsplätze (noch) sicher waren, kaum oder keine Angst vor Entlassungen bestand, Hektik und Stress kleiner waren und wo man noch Zeit fand/hatte zu schreiben. Als fast jedes Dörfchen seine Poststelle hatte und der Pöstler den persönlichen Kontakt zur Bevölkerung pflegte, alles per Post Gesandte zustellte, auch Pakete und Geld. Alle Achtung für den Fortschritt und die stetige, rasche Entwicklung, besonders auf dem Gebiet der Kommunikation. Heute muss man vieles über Internet oder E-Mail (sofern überhaupt eingerichtet) lesen bzw. empfangen – ach, wie unpersönlich.

Die heutigen Feriendestinationen stimmen mich manchmal auch etwas wehmütig. Früher, als das Ferienland Schweiz noch sehr gefragt war im Sommer und Winter, als zum Beispiel für uns Herisauer Kinder die Ferienkolonie im Hemberg die tollsten Ferienwochen waren – und heute, nicht mehr gefragt, kein Interesse an diesen kameradschaftlichen und Freundschaft fördernden Erlebnissen. Gefragt sind Fernost, Karibik, Afrika oder, wenn etwas bescheidener, eine der Mittelmeer-Inseln. Mit weniger Wehmut denke ich zurück an die vielen Berg- und Skitouren mit meinen beiden Freunden und die schönen, erholsamen Wanderungen mit unseren Gattinnen, wohlbewusst, dass mit dem Alter die «Beschwerden» einen ermahnen, «kürzer zu treten», bescheidener zu werden. Nun geniessen wir die Zeit im Alter und, wenn auch manchmal mit etwas Wehmut, plaudern und erinnern wir uns gerne an die vielen schönen gemeinsamen Erlebnisse.