„Sit er öpper oder nämeder Lohn?“ (sind Sie jemand oder arbeiten Sie gegen Lohn?) pflegte die legendäre Berner Aristokratin Madame de Meuron jeweils ihre Gesprächspartner zu fragen. In meinem Umfeld sind die Blaublüter rar, die Lottomillionäre halten sich bedeckt und die Brotlosen träumen von einer gütigen Mäzenin.
So verfolgen wir denn wachen Auges die Bewegungen auf unseren Lohnkonti, einen mehr oder weniger grossen Eingang, der sich unter unseren flackernden Blicken rasch zersetzt und uns dankbar sein lässt für jede Aktion im Supermarkt. Wir wohnen an den Säumen des Landes, uns eigen ist eine stoische Genügsamkeit, wir sehen die Sterne und den Rand der Decke.
Und wir können lesen. Ich zum Beispiel las vor wenigen Tagen das Wort Vergütungspaket. Nein, Sie haben das nicht richtig verstanden. Dabei handelt es sich nicht um ein Paket mit Naturalien, das Ihnen ein gütiger Arbeitgeber nachreicht, weil ihm scheint, dass Sie Mühe bekunden, mit weniger als Fr. 3500.— allen Verpflichtungen nachzukommen. Es sind auch keine Carepakete, die Gutscheine enthalten für Ausbildungsplätze oder Entschädigungen, weil Sie an Ihrem Arbeitsplatz giftigen Dämpfen ausgesetzt sind oder bei jedem Wetter draussen arbeiten müssen. Vergütungspakete enthalten auch keinen Check, der Ihnen eine allfällige Freistellung von Ihrem Arbeitsplatz versüssen könnte. Denn wer braucht schon ein Zückerchen, wenn er oder sie endlich frei hat?
Möglicherweise aber handelt es sich bei den Worten Freistellung und Vergütungspaket um eine Sprachregelung, deren Urheber in der gleichen Etage sitzen. Weil Freistellung eigentlich Entlassung meint und weil die Millionenlöhne bestimmter Manager – Frauen steigen kaum in solch schwindelnde Höhen – Vergütungspaket genannt werden. So ein Paket enthält neben einem Grundgehalt in Millionenhöhe auch Aktien und Optionen. Da kann es sein, dass dreizehn (13!) solcher Pakete einer Summe zwischen 20 und 40 Millionen entsprechen. Wir lassen die Petersilie auf diesen Tellern weg, reden nicht von Details wie zusätzlichem Firmenwagen und grosszügigen Spesenentschädigungen. Es sind nicht die Worte, die Sachverhalte verschleiern. Es sind die Menschen, die Worte missbrauchen, um Tatsachen sprachlich zu polstern. Auf dass weder Raunen noch Protest durchs Land gehe. Denn die Freistellungen sind auch ein Kolateraleffekt der Vergütungspakete. Und so werden Madame de Meurons Inkarnationen vielleicht dereinst fragen: «Habt Ihr Vergütungspakete oder nehmt Ihr Lohn?»
kolateral: seitlich angeordnet.
In der Irakkriegsberichterstattung wurde bei der Tatsache, dass bei den Bombenangriffen auf Gebäude auch Menschen ihr Leben verloren, von Kolateralschäden gesprochen.