Kerstin, 32, erzählt, weshalb sie ins Frauenhaus St. Gallen gekommen ist.
Meinen Mann kenne ich seit gut zwölf Jahren. Ich komme ursprünglich aus Deutschland und habe dort eine Ausbildung zur Kauffrau gemacht. Max und ich sind seit acht Jahren verheiratet, wir haben zwei Kinder. Sven kam vier Jahre nach der Hochzeit zur Welt, Anna ein Jahr später. Wir wohnten in der Nähe von Zürich und führten zusammen ein Kleidergeschäft. Seit unserer Heirat arbeitete ich fast vollzeitlich mit, nebst der Kinderbetreuung und dem Haushalt.
Irgendwie war es in unserer Beziehung von Anfang an schwierig. Ich konnte meinem Mann nichts recht machen. Das war im Geschäft, im Haushalt und auch in der Kindererziehung so. Es kam vor, dass er mir sagte, wie er etwas haben wolle. Ich machte es so wie er wollte und hörte anschliessend, das habe er nie so gesagt. Seit etwa einem Jahr beschimpfte er mich auch vor unseren Angestellten oder Kunden. Ich kam mir immer mehr vor wie eine Sache. Für die Kinder hatte er wenig Zeit, wenn er im Geschäft viel Arbeit hatte, reagierte er ihnen gegenüber oft unwirsch, geschlagen hat er sie nie.
Die Eifersucht von Max wurde immer schlimmer. Er kontrollierte meine Post, wollte immer wissen, wohin ich gehe oder mit wem ich telefoniere. Wenn ich einen Kunden freundlich begrüsste, machte ich ihm schöne Augen. Frauen sollen den Mund halten, war seine Devise und wenn ich still war, war ich schuld daran, dass die Kunden ausblieben. Ich hatte kaum mehr Appetit und wenn ich etwas ass, musste ich erbrechen. Dazu kamen Schlafstörungen. Max sagte öfters, ich spinne und gehöre in eine Psychiatrische Klinik. Ich verlor immer mehr Kraft, hatte Angst und bekam in meiner Umgebung kaum Unterstützung.
Am 10. Mai dieses Jahres ist Max völlig durchgedreht. Während des Frühstücks hat er mir mitgeteilt, dass jetzt Ausnahmezustand sei. Er sei sicher, dass ich ihn betrüge, aber er lasse sich nicht für blöd verkaufen. Ich sei eine Hure und solche Schlampen bekämen die Kinder nie mehr zu Gesicht. Als später ein Kunde das Kleidergeschäft betrat, verbot er diesem, mich anzuschauen oder mich anzusprechen. Er habe seine Gewährsleute und erfahre alles, drohte er. Sein Verhalten machte mir grosse Angst und ich informierte mich heimlich über verschiedene Hilfsmöglichkeiten. Ich hatte das Gefühl, Max stehe kurz vor einer Explosion und mache seine Drohungen, mich umzubringen, wahr. Er hat vom Militär eine Pistole und auch Munition. Als er für kurze Zeit wegfuhr, packte ich ein paar Sachen zusammen und fuhr mit den Kindern zu meiner Freundin. Ich wusste, dass ich nicht lange dort bleiben darf, denn er kannte ihre Adresse und ich wollte sie nicht in etwas hineinziehen, das auch für sie hätte gefährlich werden können. Aus einer Telefonkabine schrieb ich ihm die Mitteilung, dass ich nicht mehr zurückkomme werde.
Am 12. Mai bin ich ins Frauenhaus St. Gallen gekommen, weil die Häuser in meiner Umgebung belegt waren. Ich war froh, erst einmal in Sicherheit zu sein und nicht mehr in dauernder Angst leben zu müssen. In den ersten drei Tagen haben die Kinder und ich das Haus nicht verlassen. Ich war müde und erschöpft. Mit gemischten Gefühlen machte ich dann mit meinen Kindern einen ersten kurzen Spaziergang. Tage später telefonierte mir eine Angestellte – sie hatte meine Handy-Nummer – und sagte mir, dass mich mein Mann suche. Darauf hin blieben wir wieder mehr im Haus. Dort hatte ich regelmässige Gespräche mit einer Sozialarbeiterin. Für mich war bereits beim Eintritt ins Haus klar, dass ich nie mehr zurück gehen würde. Ich habe viel zu lange gewartet und immer gehofft, es werde wieder besser. Jetzt sind meine Gefühle für ihn gestorben. Nach etwa drei Wochen hatte ich einen Termin bei einer Anwältin. Ich gab mein Einverständnis, mich im geschützten Rahmen der Praxis mit meinem Mann zu treffen, um bestimmte Dinge mit ihm zu klären. Ich war einerseits froh, dass etwas «ging», andererseits hatte ich weiterhin Angst vor Max. Obwohl ich nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung war, beschäftigte mich das Vorhandensein einer Waffe. Auf dem Polizeiposten erfuhr ich, dass ich einen Strafantrag machen müsse, damit die Polizei die Pistole konfiszieren könne. Meiner Anwältin schrieb Max, dass er nicht an einvernehmlichen Lösungen interessiert sei. Im übrigen sei das Ganze eine Sache zwischen ihm und mir und gehe niemanden sonst etwas an. Trotzdem erschien er dann doch. Obwohl ich innerlich zitterte, konnte ich bei diesem Treffen meine Linie durchziehen. Einmal schlug er die Faust auf den Tisch und fluchte über die Emanzen, die das alles angezettelt hätten. Sein Anwalt konnte ihn wieder beruhigen.
Im Frauenhaus fühlte ich mich zunehmend wohler. Am Anfang hatte ich Mühe, meinen Platz in dieser internationalen Frauengruppe mit den vielen Kindern zu finden. Langsam ergab sich so etwas wie ein Wochenrhythmus. Meinen Kindern sagte ich, dass wir hier in den Ferien seien. Nach etwa sechs Wochen und viel Hin und Her zwischen den Anwälten konnten wir uns auf eine Besuchsregelung für die Kinder einigen. Sven und Anna werden zwei Wochenende pro Monat bei ihrem Vater verbringen. Ich werde die Scheidung einreichen und habe vor einigen Tagen eine Wohnung gefunden. Und ich hoffe, bald auch eine Teilzeitstelle zu finden. Meine Freundin und ich wollen uns bei der Kinderbetreuung gegenseitig unterstützen. Es geht mir besser, aber nicht wirklich gut. Tief in mir sitzt immer noch die Angst. Manchmal kommt sie mitten in der Nacht und ich erwache, weil ich etwas Schreckliches geträumt habe. Oder auf der Strasse, wo ich plötzlich das Gefühl habe, Max sei irgendwo hinter mir. Er ruft manchmal an, sagt nichts und wartet einfach. Ich weiss genau, dass er es ist, auch wenn er seine Natelnummer unterdrückt. Einfach alles vergessen könnnen, das wäre schön.
Aufgezeichnet: Lisa Tralci
Namen geändert